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Nachruf

Der Tote vom See in Brüssow und seine Geschichte

Bagemühl / Lesedauer: 4 min

Als kürzlich an einem See in der Uckermark eine Leiche gefunden wurde, wusste angeblich niemand so recht, wer der Tote war. Das kann nicht stimmen, sagt nun eine Anwohnerin. Jeder habe den Toten gekannt.
Veröffentlicht:04.11.2019, 18:09

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Regina Kumkar ist ein Mensch mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn. Sie hasst es, wenn jemand schlecht behandelt wird. Und dazu zählt für sie auch üble Nachrede nach dem Tod. Deshalb ärgert die in Bagemühl lebende Friseurin sehr, „dass nach dem Leichenfund am Brüssower See plötzlich alle so tun, als ob sie nicht wüssten, um wen es sich dabei handelt.”

Ihr sei nach dem Lesen der Fundnachricht sofort klar gewesen, „dass das unser Waldemar sein muss.” Das habe sie auch der Polizei gesagt. Und diese Vermutung, da ist die 76-Jährige ganz sicher, dürften viele Menschen in der Umgebung haben. „Man hat das sofort gemunkelt. Schließlich war er hier bekannt wie ein bunter Hund.” Regina Kumkar sagt das nicht abfällig, sondern mit Bewunderung in der Stimme: „Er war ein ganz Fleißiger; einer, der immer ungefragt geholfen hat, aber auch oft ausgenutzt wurde, eben weil er nur ein Obdachloser war.”

Ihr nötige dieser Mann bis heute Hochachtung ab, versichert die Pensionärin nachdenklich: „Ich habe mir oft versucht vorzustellen, wie das ist, wenn man alles verloren hat. Wenn man abends nicht heimkommen kann in eine warme Wohnung, sondern überlegen muss, wo man vor der Kälte Schutz sucht. Das muss doch schrecklich sein.” Ihr Fazit war Erschütterung – „so sollten Menschen nicht leben müssen.”

Aus Polen gekommen

Regina Kumkar beließ es nach ihrer ersten Begegnung mit dem aus Polen stammenden Landstreicher deshalb auch nicht bei mitleidigen Gedanken, sondern bot ihm Hilfe an. „Unser erstes Treffen muss an die fünf Jahre her sein”, erinnert sich die aus Berlin stammende Wahl-Uckermärkerin zurück. Er sei von einer befreundeten polnischen Familie aus dem Ort zum Essen eingeladen gewesen.

Beim Abschied sagte sie ihm dann, dass er auch bei ihr immer eine warme Mahlzeit bekommen könne. Davon machte Waldemar – „er selbst nannte sich Waldek” – alsbald Gebrauch. Als Gegenleistung für kleine Hilfsarbeiten auf dem Hof beköstigten ihn die Kumkars, wann immer er in Bagemühl sein Lager aufschlug. „Er hat oft an den Seen der Umgebung gezeltet”, erinnert sie sich zurück. „Irgendwann haben wir ihm dann gesagt, dass er auch bei uns schlafen kann. Er wählte den Schlafplatz im Heu, konnte wohl kein richtiges Dach überm Kopf mehr ertragen.”

Zigaretten gefunden

Diese Ära endete erst, als Regina Kumkar immer öfter Zigarettenkippen in der Scheune fand. „Da habe ich ihm gesagt, dass er das Rauchen lassen oder eben wegbleiben muss. Er entschied sich für Letzteres.” Doch sie gingen nicht im Streit, wie die Bagemühlerin schnell versichert. Auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen schaute er trotzdem noch oft vorbei. „Er mochte so gern Süßes”, reflektiert sie traurig: „Das habe ich immer extra für ihn gekauft.”

Vor vier Wochen klopfte „Landstreicher Waldemar” dann ein letztes Mal an ihre Tür. „Er stand damals völlig durchgefroren und starr vor Schmutz im Hof”, erinnert sich die 76-Jährige zurück. „Weil ich einen Termin hatte, habe ich ihm Waschzeug gegeben und ihm angeboten, im Haus ein Bad zu nehmen. Dann bin ich losgefahren”, setzt die Friseurin nachdenklich hinzu. Bei ihrer Rückkehr sei er dann schon fast weg gewesen, erzählt die Bagemühlerin – „ohne gebadet zu haben. Ich habe noch mit ihm geschimpft. Aber so war er halt.”

Kein Fahrrad gefunden

Die Frage, ob sie denn keine Angst um ihr Hab und Gut gehabt habe, verneint Regina Kumkar empört: „Solche Gedanken sind mir nie gekommen. Das war so ein feiner, nobler Mensch. Der hat nie um etwas gebettelt, sondern als Gegenleistung immer seine Hilfe angeboten. Nur sein Lebensstil war eben sehr speziell, nicht jedermanns Sache.” Was sie an seinem Tod verwundert, sind zwei Dinge. Zum einen, dass wohl sein Fahrrad mit Hänger nicht gefunden wurde. „Zum anderen habe ich gehört, dass ihn ein paar Tage zuvor wohl ein Lkw von der Straße gerammt hat. Das muss man doch bei der Obduktion gesehen haben.”

Ihr tut in der Seele weh, dass seine Beerdigung wohl noch in den Sternen steht. Regina Kumkar würde sich wünschen, dass die Behörden in Deutschland und Polen alle Bürokratie bei Seite schieben und menschlich handeln. „Dieser Mann gehört zeitnah und würdevoll unter die Erde gebracht.” Die Bagemühlerin hat sich vorgenommen, zu seiner Beisetzung zu fahren – so man das Datum erfährt. „Und dann gebe ich ihm ein paar Croissants mit ins Grab. Die mochte er am liebsten.”