StartseiteRegionalUckermarkEinmal Krebs-Hölle und zurück für den kleinen Pierré

Hirntumor

Einmal Krebs-Hölle und zurück für den kleinen Pierré

Prenzlau / Lesedauer: 4 min

Hätte der Sohn von Silke Schmalisch nicht mit zweieinhalb Jahren einen Unfall gehabt, wäre sein Hirntumor vielleicht viel zu spät entdeckt worden.
Veröffentlicht:18.09.2020, 08:37

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Das Drama von Familie Schmalisch begann damit, dass eine fremde Frau dem kleinen Pierré eine Glasscheibe an den Kopf knallte. Der zweieinhalbjährige Junge hatte mit seiner Mama gerade ein Café betreten wollen, als die Schwingtür zurückfederte und den Knirps voll erwischte. „In diesem Moment habe ich die alte Dame verflucht, denn er schrie wie am Spieß“, erinnert sich Silke Schmalisch an das Geschehen vor 28 Jahren zurück. Doch schon wenig später war die heute 50-Jährige dankbar dafür, dass es im Herbst 1992 zu diesem Unfall gekommen war. „Sonst hätte ich meinen Ältesten vermutlich verloren“, ist der gelernten Textilfacharbeiterin bewusst. Denn nur weil sie bei ihm eine Gehirnerschütterung vermutete, als er danach ständig über Kopfweh klagte, ließ sich seine Mutter nicht von den Ärzten vertrösten, die auf Grippe tippten, sondern bestand darauf, dass er eingehender untersucht wird.

Tennisballgroßer Tumor

„Mein Sohn hatte bereits begonnen, den Kopf schief zu halten“, erinnert sich die mittlerweile als Servicekraft in der Gastronomie beschäftigte Zweifach-Mutter. Beim ersten großen Check im Krankenhaus sei den Medizinern dann schnell bewusst geworden, dass hinter den Beschwerden etwas Schlimmes steckt, setzt sie leise hinzu. Das MRT brachte nämlich einen tennisballgroßen Tumor zwischen Groß- und Kleinhirn ans Licht. „Beim Überbringen dieser schrecklichen Diagnose bin ich umgekippt“, erzählt Silke Schmalisch. Die Nachricht, dass da krebsartiges Gewebe in dem kleinen Blondschopf wuchs, war zu viel für sie. Weil ihr Kreislaufzusammenbruch nicht unbemerkt blieb, wurde auch sie gecheckt. Zum Glück. Dadurch wusste Silke Schmalisch schon ganz früh, dass sie ein zweites Kind erwartete, das geschont werden musste.

Mehrstündige OP

Die Wochen und Monate danach wird die Uckermärkerin nie mehr vergessen. Erst die mehrstündige OP im Klinikum Dresden, später dann Chemotherapien und im Alter von drei Jahren die erste Bestrahlung. Über all das hat sie akribisch Buch geführt und mit Fotos dokumentiert. Fast nebenbei wuchs in dieser Zeit das neue Leben, ihr zweiter Sohn, in ihr heran. „Dieses Drama hat uns drei sehr zusammengeschweißt“, versichert die leidgeprüfte Mutter, die, wie sie bedauernd sagt, in dieser schweren Etappe leider kaum auf die Hilfe des Partners bauen konnte. Als die Ehe später zerbrach, blieb sie alleinerziehend. Auch die zweite Partnerschaft hielt die Belastungen nicht aus. Seit vier Jahren ist Silke Schmalisch erneut geschieden. Ein Grund dafür dürfte sein, dass die Kinder, und vor allem der krebskranke Älteste, stets an erster Stelle standen.

Im Kinderheim

„Für die beiden würde ich bis heute alles geben“, sagt die selbst in einem Kinderheim aufgewachsene Frau. Weil sie am eigenen Leib erfahren musste, was Vernachlässigung in der Kindheit bedeutet, habe sie es besser machen wollen als Mutter. „Ich glaube, das ist mir auch gelungen. Unser Verhältnis ist bis heute sehr innig“, betont die mittlerweile zweifache Oma von drei und fünf Jahre alten Enkeln. Die schönste Nachricht nach der Heilung ihres Ältesten habe sie vor zwei Wochen erhalten, verrät sie stolz: „Es hieß ja immer, dass Pierré wegen der Chemo in der Kindheit nicht mehr zeugungsfähig ist. Seine Partnerin und er hatten sich auch fast damit abgefunden, dass es nichts mehr wird mit einem gemeinsamen Kind. Doch nun ist dieses Wunder doch noch eingetreten. Wenn alles gut geht, werde ich am 4. April 2021 zum dritten Mal Oma.“

Kleiner Kämpfer

Dass ihr kleiner Kranker mit 30 jetzt da steht, wo er steht, sei zuallererst den Medizinern zu verdanken, die monatelang ihr Bestes gaben für ihn, bekräftigt sie: „Aber es ist auch das Verdienst seiner eigenen Stärke. Er war und ist ein Kämpfer so wie ich.“ Weder die Tatsache, dass er durch die starken Medikamente kaum noch wuchs, konnte den Hirntumorpatienten aufhalten, noch die spätere Hänselei in Kindergarten und Schule. Vor allem die Bestrahlungsmuster auf dem nackten Schädel und der fehlende Haarwuchs an dieser Stelle drängten ihn in die Opferrolle. „Auch die Erwachsenen stempelten ihn automatisch ab. Ich musste richtig kämpfen dafür, dass er wegen seiner chemobedingten Langsamkeit in den ersten Jahren nicht auf die Hilfsschule musste, sondern ganz normal in den Unterricht gehen konnte. Später hat er dann seine Lehre zum Koch gemacht. Heute arbeitet Pierré in einer großen Fabrik und kann seinen Traum von der eigenen kleinen Familie verwirklichen“, sagt Silke Schmalisch abschließend. Sie hofft, dass ihr Beispiel anderen Familien Mut macht, die aktuell durch die Krebs-Hölle gehen.