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Der schlimmste Fall

Baby-Mord lässt Kripo-Mann nicht los

Prenzlau / Lesedauer: 4 min

Der kleine Arvid wurde schon vor vielen Jahren umgebracht. Doch Ex-Polizist Hans Weise hat die Bilder immer noch vor Augen, das hat einen Grund.
Veröffentlicht:27.10.2019, 15:36

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Die Suche nach vermissten Kindern gehört vermutlich zu den schlimmsten Albträumen im Polizeidienst. Auch Kriminalkommissar a.D. Hans Weise räumt ein, dass diese Fälle ihn immer am nahesten gegangen seien. Bei einer Lesung im Dominikanerkloster Prenzlau stellte der 83-Jährige in der vergangenen Woche nicht nur die ungewöhnlichsten, sondern auch die schrecklichsten Erlebnisse seiner langen Dienstzeit vor.

Und dazu gehörte ein bestialischer Babymord im Jahr 1987. In seinen Annalen beschreibt der langgediente Beamte die Ergreifung des letzten Triebtäters der DDR, auf dessen Konto die grässliche Tat nahe Berlin damals ging. Hans Weise zufolge sei das die schwerste Straftat gewesen, in der er je ermittelt habe. Das Drama begann mit dem Gang einer jungen Mutter zur Post. Wie in der DDR üblich, stellte die Frau den Wagen mit ihrem kleinen Arvid vor dem Gebäude ab. Sie wollte nur schnell Briefmarken kaufen. Doch als sie das Postamt verließ, war ihr Junge bereits weg. „28 Minuten danach erging schon eine Fahndungsinfo. Alle verfügbaren Kräfte setzten sich in Bewegung“, schilderte der pensionierte Kripo-Mann das hektische Geschehen.

Winzige Leiche

Zunächst habe man alle in der Kartei erfassten, auffällig gewordenen Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch gecheckt. Doch die Hoffnung, dass eine davon das Kleinkind an sich genommen hatte, zerschlug sich schnell.

Dafür gab es zeitnah die Meldung, dass man eine winzige Leiche in einem Bach gefunden habe. „Das sind Bilder, die Sie nicht mehr aus dem Kopf bekommen“, gestand der langjährige Kommissariatsleiter dem Publikum ein: „Der Junge lag bis zum Bauch entkleidet, vergewaltigt und erwürgt im eiskalten Wasser.“

Mit dieser Szene vor Augen fuhr Hans Weise später dann zu der Mutter, die bis zur letzten Minute auf ein gutes Ende gehofft hatte. „Glauben Sie mir, das war ein sehr, sehr schwerer Gang.“ Noch heute hadert der Kriminalkommissar a.D. nicht nur mit dem Tod des Kleinen, sondern vor allem mit der entwürdigenden Wegwurf seines leblosen Körpers. Vor Gericht habe der Mörder (damals erst 17 Jahre alt) als Begründung gesagt, dass er das getötete Kind schnell habe entsorgen müssen, erinnert sich Hans Weise zurück. Obwohl er selbst drei Jahre später aus dem Polizeidienst ausschied, verfolgte der Kriminalist den weiteren Werdegang aufmerksam.

Keine Sicherungsverwahrung

„Nach über 20 Jahren stand nämlich die Entlassung des Täters an. Der Staatsanwalt versuchte noch, eine nachträgliche Sicherungsverwahrung zu erwirken“, blickt Weise zurück: „Letztlich wurde der Täter aber entlassen, weil das juristisch nicht möglich war. In solchen Momenten verstehe ich unsere Gesetze dann wirklich nicht.“

Entsprechend erleichtert habe er später zur Kenntnis genommen, dass sich der Mörder schon nach kurzer Zeit wieder im Gefängnis einfand, „aus Angst, dass er die Tat wiederholen könnte.“ Auf der von der Stadtbibliothek Prenzlau initiierten Lesung widmete sich der Autor auch dem Thema Sexualstraftaten in der DDR. Gut in Erinnerung geblieben ist ihm der Fall eines Entblößers, „die Akte war streng geheim und sollte nicht an die Öffentlichkeit gelangen.“

Doch wie das so sei mit Geheimnissen, letztlich bauschte der Buschfunk die eigentliche Tat dermaßen auf, dass pötzlich von unzähligen geschändeten Frauen die Rede war, obwohl der Mann lediglich einigen Damen sein nacktes Glied präsentiert hatte.

Mord an Kollegen

„Bei den späteren Befragungen fiel uns auf, dass die Geschädigten wohl vornehmlich das Corpus Delicti betrachtet und weniger in sein Gesicht geschaut hatten“, merkte Weise schmunzelnd an: „Wir bekamen nämlich acht verschiedene Personenbeschreibungen.“ Den Täter auf die Spur gekommen seien sie durch den Hinweis einer alten Dame. Diese empfing die Polizei nämlich mit den Worten, dass er das nie wieder tun werde, weil sie sein gutes Stück mit dem Krückstock malträtiert habe...

Zu den Fällen, die Hans Weise bis heute um den Schlaf bringen, gehört der Mord an einem Kollegen. Hauptwachtmeister Jürgen Lawrenz war im September 1982 in Pankow mit fünf Messerstichen getötet worden. Es verschwand damals auch seine Makarow, die Dienstpistole. Die Polizei stellte zwar noch in der selben Nacht einen Verdächtigen. Doch Tage später kam dieser unter ominösen Bedingungen wieder frei. Der Fall gilt bis heute als ungelöst...

Die Bücher von Hans Weise gibt es im Prenzlauer Buchhaus Schulz.