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Olympische Spiele 1980

Der Moskau-Boykott als Symbol der Sinnlosigkeit

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Der westliche Boykott der Olympischen Spiele 1980 in Moskau jährt sich zum 40. Mal. Initiiert von den USA, nahm auch die BRD nicht teil. Zehnkämpfer Guido Kratschmer hatte viele Jahre daran zu knabbern.
Veröffentlicht:01.08.2020, 07:40

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Mit Wut zum Weltrekord! Drei Wochen vor Daley Thompsens Sieg bei den Olympischen Sommerspielen 1980 in Moskau steigerte BRD-Zehnkämpfer Guido Kratschmer bei einem Meeting in Bernhausen die Weltbestmarke auf 8649 Punkte. Für den deutschen Zehnkampf-Star war der Rekord ein wenig Genugtuung für die verpasste Olympiamedaille in Moskau.

Ja, es sei auch eine Trotzreaktion auf den Boykott gewesen, sagte Kratschmer 40 Jahre später in einem Interview mit dem Kicker. Der Brite Thompson gewann jene Goldmedaille, die sich eigentlich Kratschmer holen wollte. Der Mainzer war bereit für den großen Coup, überzeugt, Gold in Moskau zu holen. Kratschmer galt als der große Favorit im Zehnkampf.

Doch die Politik zerstörte bei vielen westdeutschen Sportlern alle olympischen Medaillenträume. Als Reaktion auf den Einmarsch sowjetischer Truppen im Dezember 1979 in Afghanistan beschloss die USA, die Olympischen Spiele 1980 in Moskau zu boykottieren und forderte ihre westlichen Verbündeten auf, sich anzuschließen. Die Bundesrepublik, Japan, Kanada, Norwegen und Kenia folgten dem Aufruf des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter. Am 15. Mai 1980 stimmte das damalige Nationale Olympische Komitee Deutschlands mit 59 gegen 40 Stimmen für den Boykott.

„Unsere Regierung ist darauf reingefallen“

„Es hat überhaupt keinen Sinn gemacht, der Sport hat sich der Politik unterworfen“, sagte Walther Tröger (91), der von 1992 bis 2002 NOK-Präsident war. Während der Sport aufgegeben habe und die deutsche Olympia-Mannschaft nicht dorthin gefahren sei, wo sie hingehört habe, hätten Kirchen, Politik und Wirtschaft alle weitergemacht wie bisher. „Unsere Regierung ist darauf reingefallen“, betonte Tröger, „und leider waren viele unserer Leute damals der Politik hörig oder verbunden.“ Wie Tröger war auch der 1980 amtierende NOK-Chef Willi Daume gegen den Boykott und bezeichnete ihn als „eines der widersinnigsten, überflüssigsten und politisch schädlichsten Ereignisse“. Dennoch stellte sich die Mehrheit der damaligen Mitgliederversammlung des NOK – gegen den Willen vieler Athleten – hinter die Bundesregierung von Kanzler Helmut Schmidt, der den Schulterschluss mit der Schutzmacht USA als existenziell ansah.

Deshalb lud Schmidt die Präsidenten der Sportfachverbände ins Kanzleramt nach Bonn ein, um sie von der Absage der Reise nach Moskau zu überzeugen. Dabei verließ sich Schmidt nicht nur auf Argumente, um die Unterstützung des Sports zu erhalten. „Zwischendurch sagte er ganz subtil: Sie können ruhig nach Moskau fahren, aber wenn Sie fahren, zahlen Sie bitte alles selber“, erzählte der frühere Turn-Weltmeister und Augenzeuge Eberhard Gienger einmal: „Da ist uns die Freude anden Spielen ziemlich vergangen.“ Jahre später sah auch Schmidt ein, dass dieser Boykott „sinnlos und schädlich“ gewesen war. Gienger, heute für die CDU Abgeordneter im Bundestag, pflichtete ihm bei: „Aus dieser Rückschau tut es besonders weh.“

Kratschmer arbeitete in Moskau für ein Magazin

Guido Kratschmer, der Olympia-Zweite von 1976 im Zehnkampf, reiste trotz des Boykotts nach Moskau – allerdings nicht als Zehnkämpfer. Für das Magazin Stern berichtete er über die Spiele, schrieb ein Tagebuch. Seine Erinnerungen sind immer noch wach: „Ich hatte damals den Eindruck, dass das Publikum gar nicht mitbekommen hat, dass die Spiele boykottiert wurden. Weil Engländer dabei waren oder Franzosen und Italiener, ist das überhaupt nicht aufgefallen.“ Im Gedächtnis haften geblieben sei ihm auch das Auftreten der Zuschauer: „Wer nicht aus der UdSSR kam, wurde gnadenlos ausgepfiffen. Das hat mich sehr enttäuscht.“

Dass ihm der Kalte Krieg 1980 die Chance genommen hat, vielleicht eine olympische Goldmedaille zu gewinnen, daran hatte Kratschmer lange zu knabbern. 20, 25 Jahre habe das bestimmt gedauert. „Ich war selbst überrascht, wie lange mir das nachgegangen ist. Wenn ich darauf angesprochen worden bin, kamen immer wieder Emotionen hoch. Inzwischen bin ich aber drüber hinweg“, so der heute 67-Jährige. Der Boykott sei unsinnig gewesen, die Sportler hätten es ausbaden müssen.

Der Boykott von Moskau war aber nicht der einzige in der Geschichte der Olympischen Spiele. Beim ersten, im Jahr 1956, blieben die Niederlande, Spanien und die Schweiz den Spielen in Melbourne als Antwort auf die Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes durch die Sowjetarmee fern. Den letzten Boykott gab es 1984, als – als Gegenreaktion für den von Moskau – die Sowjetunion und ihre Verbündeten nicht nach Los Angeles fuhren. Diesmal traf die von der Politik diktierte Entscheidung die DDR, die 1980 mit 126 Medaillen Platz zwei im Medaillenspiegel hinter der Sowjetunion (195) belegt hatte.