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Fahrgastrechte

Mit der Bahn nach Stettin – und nicht mehr zurück

Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

In Europa fahren die Züge über alle Grenzen hinweg. Das ist eine tolle Sache, nur manchmal kann das schief gehen. Dann muss man viel Geduld haben.
Veröffentlicht:18.09.2018, 06:30

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Es sind Worte, die man abends auf einem Bahnsteig in einer fremden Stadt eigentlich nicht lesen möchte: „Zug fällt aus wegen einer technischen Störung“. Das teilte mir die App der Deutschen Bahn an einem Sonnabend im Juni mit, doch bis zu dieser Erkenntnis war es schon ein langer Weg.

Es ist kein Problem, von Neubrandenburg aus mit der Bahn mal schnell über die Grenze ins polnische Stettin zu fahren – wenn die Strecke nicht gerade gesperrt ist. Anderthalb Stunden trennen die beiden Städte, keine andere Großstadt liegt näher. Selbst nach Rostock oder Berlin dauert es länger. Mehrmals täglich verkehren Züge von Mecklenburg-Vorpommern in die Oder-Metropole – und normalerweise auch wieder zurück. Der letzte fuhr an diesem Tag um 21 Uhr nach Hause. Zumindest stand das im Fahrplan und darauf kann man sich ja verlassen. Hatte ich zumindest gedacht.

Szczecin Glowny, der Stettiner Hauptbahnhof, wurde erst vor Kurzem modernisiert. Auf großen Anzeigetafeln, die auch auf Deutsch beschriftet sind, konnte ich an diesem Abend lesen, dass mein Zug planmäßig abfahren solle. Als er um 21.02  Uhr noch nicht im Gleis stand, fing ich also langsam an, mir Sorgen zu machen.

Ein Glück gibt es WLAN am Bahnhof

Um 21.08  Uhr wählte ich mich mit meinem Smartphone in das kostenlose WLAN am Bahnhof ein (so etwas gibt es in Polen anders als in Mecklenburg-Vorpommern!) und schaute in der App DB-Navigator der Deutschen Bahn nach. Der überbrachte mir nicht nur die beunruhigende Nachricht, dass mein Zug ausfällt, sondern versprach auch einen Ersatzbus, der noch an diesem Abend zurück Richtung Deutschland fahren sollte. Dumm nur, dass davon im Bahnhof niemand etwas wusste. Auch am benachbarten Busbahnhof sah es nicht so aus, als würde mich dort noch irgendjemand nach Hause bringen.

Pech gehabt! Langsam wurde mir klar, dass ich diese Nacht wohl in Polen verbringen würde. Grundsätzlich spricht ja nichts dagegen, nur manchmal ist man doch gerne vorbereitet. Toni Kroos hatte an diesem Tag übrigens mehr Glück, wie ich später in einem Hotelzimmer im Fernsehen sah – es war der 23. Juni und der deutsche WM-Traum war noch nicht ausgeträumt. Kroos hatte, pünktlich auf die letzte Minute, bei der WM in Russland das erlösende Tor gegen die Schweden geschossen. Nur hat ihm das ja bekanntlich auch nicht viel gebracht.

Bahn will für ihre Züge nicht zuständig sein

Am nächsten Tag fuhr ich also wieder zurück nach Neubrandenburg und ließ mir am Bahnhof ein „Fahrgastrechte-Formular“ geben. Denn für mich war klar: Für die unnötigen Kosten dieser Hotel-Nacht und meiner verspäteten Ankunft in Neubrandenburg muss die Bahn aufkommen – es ist jedenfalls nicht meine Schuld, dass ich in Stettin gestrandet bin.

Ein „Fahrgastrechte-Formular“ auszufüllen, ist genau so kompliziert wie der Name verheißt – doch nur auf diesem Weg kann man sich von der Bahn die Kosten erstatten lassen. Das zuständige „Servicecenter Fahrgastrechte“ sitzt in Frankfurt am Main und antwortete zwei Wochen später. Für die Beeinträchtigungen entschuldige man sich, hieß es in dem Brief, Zugausfälle und Verspätungen könnten aber nicht vermieden werden, „aufgrund der Komplexität des Eisenbahnbetriebes“. Geld gebe es aber nicht zurück, erklärte mir die DB Regio AG weiter, denn sie sei ja nicht zuständig. Schließlich war ich im Ausland gestrandet und somit im Verantwortungsbereich eines anderen Eisenbahnbetriebsunternehmens. Klingt ja wirklich komplex, ist aber ziemlich witzig: Die Bahn erklärte mir, dass sie für ihre eigenen Züge nicht verantwortlich ist, sofern sie in Polen unterwegs sind.

Am Ende des maschinell erstellten Schreibens gab es aber einen Hoffnungsschimmer: Die polnische Bahn solle sich jetzt um das Problem kümmern. Also gingen meine Unterlagen nach Warschau. Dank der EU gibt es nämlich eine europaweite Fahrgastrechte-Verordnung. Ein paar Wochen später kam dann tatsächlich Post von der Polnischen Staatsbahn, die mir überraschend mitteilte, auch nicht zuständig zu sein. Dafür habe man mein Anliegen aber weiter an die Przewozy Regionalne, die Polnische Regionalbahn, gereicht. Zumindest konnte ich mir das mit einer maschinellen Übersetzung von Google erschließen – ich kann nämlich kein Polnisch.

Polnische Bahn will auch nicht zuständig sein

Und dann, wieder ein paar Wochen später, Toni Kroos wurde inzwischen zum „Fußballer des Jahres“ gewählt, war allerdings bekanntermaßen nicht Weltmeister geworden, schrieb mir das Stettiner Büro der polnischen Regionalbahn einen Brief, dessen entscheidende Passagen mir der automatische Übersetzer von Google ungefähr so auslegte: „Die deutsche Seite hat keine Ersatzkommunikation zur Verfügung gestellt, alle Quetschungen sollten an die Deutsche Bahn gesendet werden.“ Also auch hier: Wir sind nicht zuständig, soll sich doch die Deutsche Bahn darum kümmern. Meine Anliegen ging also wieder auf die Reise zurück nach Frankfurt am Main. Nach dieser gepfefferten Erklärung gab es für die Deutsche Bahn wohl keine Ausreden mehr.

Mitte September bekam ich wieder Post. Diesmal erklärte mir die DB Regio AG, nun doch für ihre eigenen Züge verantwortlich zu sein, auch wenn sie nach Polen fahren. Die Bahn erstattete mir also die kompletten Hotelkosten inklusive der zusätzlichen Kosten für die Rückfahrt. (An dieser Stelle ein freundliches „Dziekuje!“ nach Polen für die Vermittlung.)

Wir lernen: Grenzüberschreitender Zugverkehr ist eine tolle Sache und sicherlich auch irre komplex. Und das nicht, weil Züge auch mal kaputt gehen können, sondern weil die Bahn-Betreiber sich nicht immer sofort einig sind. Und wer es ganz genau wissen will, kann in dem Ablauf auch einen Beweis dafür sehen, dass die EU doch funktioniert. Denn nicht nur, dass sie den grenzüberschreitenden Schienenverkehr finanziell fördert – auch ihre Fahrgastrechteverordnung dürfte einen maßgeblichen Einfluss darauf gehabt haben, dass ich auf meinen Ausgaben am Ende nicht sitzen bleiben musste.