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Alltag eines pflegenden Angehörigen

Frau blieb bis zum Schluss im Ehebett

Potzlow / Lesedauer: 4 min

Klaus Bohrisch hat sich 35 Jahre um seine querschnittsgelähmte Frau gekümmert. Doch dem 90-jährige Potzlower war seine große Liebe alle Opfer wert.
Veröffentlicht:10.11.2018, 10:05

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35 Jahre lang drehte sich Klaus Bohrischs Leben fast ausschließlich um seine kranke Frau. Nachdem ein schwerer Autounfall die Potzlowerin zum Pflegefall gemacht hatte, war der heute 90-Jährige quasi rund um die Uhr für sie da. Die bis zum Hals Querschnittsgelähmte in ein Heim zu stecken, das brachte er nicht übers Herz. „Sie war doch meine große Liebe“, gesteht der kleine, drahtige Mann leise ein. Er sagt das ganz ohne Pathos. Auch Wehklagen liegt ihm fern. Alles, was er für sie getan habe, sei aus freien Stücken geschehen, setzt der alte Herr mit sanftem Lächeln hinzu.

Dabei kann vermutlich nur jemand, der selbst schon einen Angehörigen gepflegt hat, ermessen, wie viel Opfer das Klaus Bohrisch abverlangte. 35 Jahre lang schlief der Uckermärker keine Nacht mehr durch. „Meine Frau musste alle drei Stunden kathetert werden. Rund um die Uhr. Ohne Rücksicht auf unseren Schlaf.“ Da sich beide standhaft weigerten, sie in ein Krankenzimmer mit Pflegebett abzuschieben, spielte sich das Ganze bis zu ihrem Tod im ehelichen Schlafzimmer ab.

Er hat es genossen

„Ich habe es so genossen, dass sie nachts im Ehebett bei mir sein konnte, egal wie anstrengend das manchmal war“, sagt der Potzlower mit belegter Stimme: „Als ich sie zur Frau nahm, haben wir uns geschworen, in guten wie in schlechten Zeiten füreinander da zu sein. Damit war es uns beiden ernst.“ Zum Glück war die Querschnittsgelähmte bis zum letzten Augenblick geistig voll da. Sie konnte zwar nicht mal mehr die Finger bewegen. Aber auf die liebevolle und kluge Gesprächspartnerin, als die er sich einst verliebt hatte, musste der pensionierte Landwirt nie verzichten. Und genau das habe doch alle Entbehrungen wieder wett gemacht, stellt Klaus Bohrisch klar.

Als die Patientin 2013 starb, brach für ihren Mann eine Welt zusammen. Noch heute vergeht kein Tag, ohne dass er an sie denkt. „Aber irgendwie bin ich auch erleichtert, weil ich nicht weiß, wie lange ich noch körperlich in der Lage gewesen wäre, diesen Pflegepart hinzubekommen“, räumt der Witwer ehrlich ein. Tagsüber hatte er zwar stundenweise Unterstützung von Pflegekräften gehabt. „Aber letztlich oblag auch das Heben, Waschen und Betten oft mir“, beschreibt Klaus Bohrisch den damaligen Alltag.

Tage sind vollgepackt

Seit fünf Jahren nun geht der langjährige Vorsitzende der LPG (P) Gollmitz allein durchs Leben. Seine Tage sind voll gepackt, so dass nie Langeweile und selten nur Traurigkeit aufkommt. „Es ist, wie es ist. Sie wurde mir genommen. Aber ich bin noch da“, stellt Klaus Bohrisch nüchtern fest. Es wäre doch Frevel, fortan Trübsal zu blasen. „Ich freue mich an dem, was ich habe.“ Anders als viele Männer seiner Generation hat der Potzlower stets Freundschaften gepflegt. „Ich bin oft auf Achse“, beschreibt der vitale Senior seinen Alltag. Mit Hingabe organisiert der zweifache Vater beispielsweise Klassentreffen. Die finden in Potsdam statt, wo ihn seine Familie als Kind in ein Waisenhaus gab. Weil es noch sechs weitere Geschwistern gab, hatten seine Eltern für ihn eine Bleibe mit besserer Perspektive gesucht.

„Das war einfach so“, erinnert sich Klaus Bohrisch an diesen einschneidenden Schritt zurück, den er als Zehnjähriger gehen musste. Er mag nicht urteilen, ob das falsch oder richtig war. Fakt ist, dass Potsdam für den gebürtigen Schlesier zunächst zur Heimat wurde. „Dort habe ich Freunde gefunden. Doch von den 350 Schulkameraden, die vor 15 Jahren zum ersten Treffen kamen, leben jetzt nur noch 30...“ Das sei schmerzlich am Altwerden, räumt Klaus Bohrisch traurig ein: „Es gibt kaum noch Menschen meiner Generation.“ Aber eine Handvoll kennt er noch, unter anderem einen Schulkumpel, seine Schwester und seine neue Freundin.

Alle sind über 90

Alle drei sind über 90 und gut drauf. Vielleicht nicht ganz so gut wie er, der in diesem stolzen Alter noch völlig unbeeindruckt mit dem Auto fährt und Haus und Hof allein bewirtschaftet. „Letztens waren wir fünf Uralten zusammen in einem Restaurant. Ich habe die junge Kellnerin an den Tisch gerufen und gesagt, dass sie sich das gut einprägen soll. Denn solche Runden sind selten“, erzählt Klaus Bohrisch mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

Ach, er könnte noch so viel erzählen. Anlässlich seines kürzlich begangenen runden Geburtstages hatte er die 50-köpfige Gästeschar köstlich unterhalten mit einer Rede, die mit „90 Jahre in 9 Minuten“ übertitelt war. Zum Besten gab er dort vermutlich auch die Episode mit den russischen Soldaten, die ihn als LPG-Chef einst vermöbeln wollten. Aber das wäre schon wieder Stoff für den nächsten Artikel...