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Meinung zum Pannen-Abi

Was in Pasewalk alles nicht passierte

Pasewalk / Lesedauer: 3 min

Es war der bildungspolitische Tiefpunkt des Jahres 2019: In Pasewalk fiel ein Drittel des Jahrgangs durch die Abitur-Prüfung. Die Konsequenzen: halbherzig. Unsere Redakteurin Marlis Tautz rechnet ab.
Veröffentlicht:30.12.2019, 06:31

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Ein persönliches Bekenntnis vorweg: Ich bin schulerprobt, ja schulgestählt. Drei Kinder, Schüler zwischen 1998 und 2019, ergeben bei je zwölf Klassen 36 Schuljahre Elternerfahrung – gewissermaßen. Im Sommer hat mein Jüngster Abitur gemacht an einer Schule in Schwerin, wo 3 von 99 durchs Abitur fielen. Auf dem Abschlussball tanzten wie an vielen anderen Orten alle gemeinsam, niemand sah sich zurückgesetzt. Anders am Oskar-Picht-Gymnasium Pasewalk, wo 19 von 59 Jugendlichen die Prüfung nicht bestanden und die Schulleiterin die „Durchfaller“ als Versager stigmatisiert und mit Schimpf und Schande entlassen hatte.

Unsere Zeitung recherchiert seither zum Thema. Kurz zusammengefasst: Die exorbitante Durchfallquote markiert den bisherigen Tiefpunkt einer Abwärtsentwicklung, die begann, als der alte Schulleiter 2016 in Rente ging. Von seiner Nachfolgerin fühlen sich sowohl Lehrer, Eltern, Schüler als auch langjährige Kooperationspartner der Schule vor den Kopf gestoßen. Zum Beispiel wies sie einem Verein, der Schüleraustausche organisiert, die Tür, russische Gastschüler seien unerwünscht. Lehrer ließen sich versetzten, die Abiturergebnisse sanken von Jahr zu Jahr, Elternproteste beim Schulamt verhallten. Schüler und Eltern berichteten dem Nordkurier über „ein von der Schulleitung etabliertes diktatorisches System, das Speichelleckerei und Duckmäusertum fördert und das Schulklima vergiftet“. Da Schulleitung und Schulamt schweigen, beantwortete das Bildungsministerium alle Anfragen zu Ursachen und Konsequenzen der Entwicklung am Picht-Gymnasium.

Was in Pasewalk passierte, ist DER Schulskandal 2019

Es handelt sich meines Erachtens um den Schulskandal 2019. Schwer zu sagen, was am schlimmsten ist: Dass in Pasewalk ein Drittel durchfiel, während es im MV-Durchschnitt 7  Prozent, in den anderen Ost-Ländern nur 2,6  bis 5  Prozent waren? Dass manche – böswillig oder ahnungslos – behaupten, das müsse an den Schülern liegen? Dass die Schulleiterin den Nicht-Abiturienten die Zeugnisse über die theoretische Fachhochschulreife bei einem zehnminütigen Termin ausgehändigt hat, von dem die verdatterten Eltern erklären, sich „noch nie so erniedrigt gefühlt“ zu haben? Dass Lehrer (sogar Schüler) gehen oder dauerhaft erkranken, um dem Schulklima zu entfliehen? Dass sich das Schulamt ahnungslos gibt? Dass die 12.  Klassen in Pasewalk das Abi 2020 fürchten?

Das Pannen-Abi hat Konsequenzen, die den Namen nicht verdienen. Das Bildungsministerium hatte eine Expertenkommission auf Ursachenforschung nach Pasewalk geschickt. In Gesprächsrunden offenbarten Schüler, Eltern und Lehrer ihre Not mit der Schulleitung: Verstöße gegen das Schulgesetz – etwa die Mitwirkungsrechte von Eltern und Schülern – wurden festgestellt, Mängel in der Kommunikation. Die Frage, ob es einen Neuanfang unter alter Leitung geben könne, haben Schüler und Eltern unmissverständlich verneint, berichten die Beteiligen. Doch dann? Nach der „Feinabstimmung“ im Ministerium entstand ein Bericht, der die Verantwortung mit der Gießkanne über das gesamte Kollegium verteilt. Bessere Schule machen, Kommunikation verbessern, Schüler zu mehr selbstständiger Arbeit anhalten. Blabla.

Weiß Bildungsministerin Marin, wo Pasewalk liegt?

Das ist das Schlimmste an der Sache, dicht gefolgt vom kalten Desinteresse der Landespolitik. Was macht der Vorpommern-Staatssekretär Patrick Dahlemann (SPD), der sich für den vermeintlich abgehängten Landesteil, mithin auch Pasewalk einsetzen soll? Wo ist die Opposition mit ihren Bildungsfachleuten wie Simone Oldenburg (Linke), die nur allzu gern an der Regierungsarbeit herumnörgeln? Weiß die neue Bildungsministerin Bettina Martin (SPD), wo Pasewalk liegt? Es gibt in der Schullandschaft viele drängende Probleme: Geld- und Lehrermangel, Inklusion, Zuwanderung, Digitalisierung sind Dauerthemen in den Sonntagsreden. Im Fall des Oskar-Picht-Gymnasiums schien die Lösung auf der Hand zu liegen.

Schon vor Monaten hatte ich die Frage gestellt, worauf das Ministerium im Fall von Pasewalk wartet. Elternvertreter reagierten so: „Darauf, dass Leute wie Sie endlich Ruhe geben, und alle weitermachen können wie bisher.“ Was mir seinerzeit wie Schwarzseherei vorkam, ist heute düstere Realität.