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Sommer, Sonne, Insulin

Wo der Ferienspaß für Diabetes-Kinder anfängt

Waren / Lesedauer: 4 min

Im Camp lernen die Kinder den Umgang mit ihrer Krankheit. Und bei einigen wird durch einfache Dinge sofort ein Erfolg sichtbar.
Veröffentlicht:18.07.2018, 19:01

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Auch bei einem Drachenboot braucht es Zeit, bis es richtig eingestellt ist und Fahrt aufnehmen kann. Das Gewicht muss gut verteilt sein, die Paddel einen Rhythmus finden, der dem Takt des Steuermanns folgt. Struktur, Disziplin. Dann macht es aber richtig Freude, auf dem Wasser unterwegs zu sein.

Vielleicht sind diese Parallelen zum Leben der Kinder und Jugendlichen, die in den zwei Booten Platz genommen haben, kein Zufall. Denn für Dr. Kathrin Hake, Chefärztin der Klinik für Kinder und Jugendmedizin im Mediclin Müritz-Klinikum, ist das Drachenbootfahren immer der Höhepunkt des Diabetes-Camps.

Eine Herausforderung im Alltag

49 Kinder im Alter von 8 bis 18 Jahren sind eine Woche lang zu Gast in Waren. Einige nehmen schon zum 6. Mal am Camp teil. Sie kommen aus unterschiedlichen Ecken in Norddeutschland, aber alle haben eins gemeinsam – sie sind an der chronischen Krankheit Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt. Die Akzeptanz der Erkrankung und die damit verbundenen Herausforderungen im Alltag sind oft sehr schwierig für die Schützlinge von Kinderdiabetologin Kathrin Hake. Aus diesem Grund hat sie vor sechs Jahren das Camp ins Leben gerufen.

Dies findet wie eine echte Ferienfreizeit ganz bewusst außerhalb des Klinikums statt. Die Teilnehmer übernachten in der Jugendherberge und die Woche ist gefüllt mit tollen Veranstaltungen, wie einem Ausflug zum Filmpark in Babelsberg, ein Besuch der Müritz-Saga und das Drachenbootfahren.

Damit das alles stattfinden kann, hat Kathrin Hake 15 000 Euro durch Spendengelder für das Camp bekommen. Betreut werden die Kinder in dieser Woche von Ärzten, Schwestern, Diabetesberaterinnen, einem Psychologen und ehrenamtlichen Helfern. Einige der Helfer waren vor einem Jahr sogar noch selbst Teilnehmer. Die Kinder werden im Umgang mit ihrer Krankheit geschult und es wird ihnen gezeigt, dass diese sie nicht am Spielen, Toben, Sport treiben und Spaß haben hindert.

Bewusste Ernährung und viel Bewegung

Natürlich gibt es auch Momente mit Konflikten, wenn etwa Kinder unbedingt Cola trinken wollen, es aber aus gesundheitlichen Gründen nur Wasser gibt. Zu Hause bekommen sie ihren Willen. Im Camp aber nicht. Einige Kinder haben Gewichtsprobleme, weil sie zu viel naschen und sich zu wenig bewegen. „Wir lernen hier auch viel über das Umfeld der Kinder und das Elternhaus. Konsequente Erziehung ist nicht mehr modern, aber das bringt Probleme, denn Diabetes fordert Tagesstruktur. Für einige Familien liegt in der Krankheit darum sogar eine Chance und manches Verhalten ist einfach Pubertät und nicht Diabetes“, sagt Kathrin Hanke. Darum sei es wichtig, eine Sprache mit den Eltern zu sprechen, was in den meisten Fällen auch gelingt. Durch bewusstere Ernährung und viel Bewegung brauchen sich einige Kinder im Camp nur halb so viel an Insulin zu spritzen.

Diabetes ist in der Region wie überall im Land auf dem Vormarsch. Vor der Wende waren sieben von 100 000 Kindern betroffen, jetzt sind es mittlerweile 24 – mehr als das Dreifache. Und die Kinder werden immer jünger. Diagnosen vor dem fünften Lebensjahr waren früher eine Ausnahme, jetzt kommen sie regelmäßig vor. Zudem gibt es regionale Cluster, wo besonders viele Betroffene leben. Als Beispiel aus der Müritzregion nennt Kathrin Hake Malchow.

Auch Eltern brauchen Hilfe

Für die Eltern ist der Umgang mit der chronischen Krankheit nicht leicht. Wenn sie einen Krampfanfall ihres Kindes erleben, bleibt danach oft Angst und Misstrauen gegenüber der Technik. „Eltern müssen psychologische Hilfe bekommen, um Ängste abzubauen, denn die Kinder dürfen nicht durch die Eltern traumatisiert werden“, sagt Kathrin Hake.

Im Camp wird intensiv mit den Kindern gearbeitet. Arbeiten müsse man allerdings auch mit dem Umfeld des kranken Kindes. „Wir schicken regelmäßig Diabetesberater in die Kitas und Schulen, denn Lehrer und Erzieher müssen mehr über die Krankheit erfahren, Ängste abbauen. Das ist Inklusion. Denn viele Kinder erfahren Ausgrenzung“, sagt Kathrin Hake. Nachholbedarf haben aber sogar Medizinerkollegen, denn während die meisten Kinderärzte gut informiert seien, könne man das für die Erwachsenenmedizin nicht sagen, meint die Chefärztin.