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Ist wegen Corona der Ballermann in MV angekommen?

MV / Lesedauer: 4 min

Partyboxen, wild campen und Feuer machen trotz Waldbrandwarnstufe – Touristiker und Einheimische sprechen von einer ganz neuen Gästeklientel im Nordosten.
Veröffentlicht:12.09.2020, 15:11

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Die meisten Urlauber sind weg, und manch ein Touristiker atmet auf. Der Corona-Sommer 2020 war einfach anders. Auffallend anders. „Wir haben ein neues Gästeklientel bemerkt“, konstatiert etwa Matthias Hellmund, Chefranger im Müritz-Nationalpark. „Ausweich-Gäste, die, hätten sie woanders hinfahren können, wohl auch nicht hierher gekommen wären.“ Hellmund spricht diesen „speziellen“ Besuchern, eher Städtetouristen, die Unterhaltung suchen, ein gewisses Gespür für den Naturschutz ab.

Sie haben bereits eine eigene Bezeichnung: Die ,Mallorca-Fraktion‘.“Denn die „Mallorca-Fraktion“ benimmt sich, als sei sie am Ballermann. „Die stellen sich mit der brennenden Kippe direkt ans Verbotsschild, nicht zu rauchen. Sie fahren mit Boxen, aus denen laut Heavy Metal dröhnt, auf Rädern durch den Nationalpark. Sie denken, sie dürfen wild campen wie in Schweden. Machen Feuer trotz Waldbrandwarnstufe 5. Sie verlassen die Wege und verstoßen damit gegen die Nationalpark-Regeln, weil Tiere dadurch gestört werden. Sie landen mit ihren Kanus in geschützten Uferzonen an. Und werden sie durch die Ranger auf die Ordnungsverstöße hingewiesen, gibt es bestenfalls flapsige Bemerkungen“, schildert Matthias Hellmund, wie sich die „Häufung von Regelverstößen“ äußert. „Der Grad von Unrechtsbewusstsein ist dann relativ gering.“ Jedenfalls habe die Rechtsabteilung des Müritz-Nationalparks diesbezüglich mehr zu tun als sonst. „Wir freuen uns ja auch über einen Gästezustrom. Aber nur, wenn sie sich auch an die Regeln halten können.“

Bei Hinweisen auf Verbote „werden viele aggressiv“

Die „Mallorca-Fraktion“ ist seit diesem Sommer auch im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft unangenehm aufgefallen. Wie Hellmunds Kollegin im Küstenbereich, Annette Beil, erzählt, ignorieren die Badegäste beispielsweise den Dünenschutz und sonnen sich trotz Verbotsschilds in dem besonders sensiblen, geschützten Bereich. „Die Badesachen trocknen einfach auf den Schildern. Und wenn sie darauf hingewiesen werden, die Dünen bitte zu verlassen, werden viele aggressiv.“

Es werde des Weiteren einfach die Nationalpark-Kernzone betreten, Hunde werden nicht an der Leine geführt, es wird wild gecampt, in Autos und am Strand im Schutzgebiet genächtigt. „Wir hatten sehr, sehr viele Besucher, und viele kamen das erste Mal. Wenngleich manche durchaus erstaunt meinten, sie hätten gar nicht gedacht, wie schön es hier sei, merkte man am Auftreten vieler, dass sie ansonsten lieber woanders hingefahren wären.“ Ebenso Vermieter von Ferienwohnungen hätten beanstandet, dass etliche Neugäste die Unterkünfte wüst hinterlassen.

Auch direkt auf dem Wasser war in der Corona-Saison irgendwie alles anders. „Die Bootsvermietungsunternehmen waren total ausgebucht, die Stadthäfen voll. Der Wassersport hat extrem zugenommen. Und die Beschwerden von Anwohnern damit auch“, berichtet etwa der Inspektionsleiter der Wasserschutzpolizei Waren, Ingo Hagen. Das betreffe laute Musik auf Hausbooten, die übers Wasser noch mehr schallt. Auffällig seien zudem mehr Karambolagen gewesen, weil die Fahrer vor allem bei Wind oft nicht ihrer großen Boote Herr werden konnten – um Hausboote zu lenken, bedarf es nämlich keines Führerscheins. Dass dieses neue Klientel Verhaltensweisen an den Tag lege, die man auch am Ballermann beobachten könne, kann Ingo Hagen durchaus bestätigen. Auf den Booten werde oft übermäßig getrunken, Werte über 2,0 Promille würden da schon mal angezeigt. Auch er spricht von verstärkt unerlaubtem Zelten und Feuermachen im Wald. Wobei sich das Partyvolk eher auf die südliche Müritz und an der Grenze zu Brandenburg konzentriere – von Berlin sind es dorthin eben kürzere Wege.

Flöße mit Musikboxen und Bierfässern

Vor allem an der Südmüritz und Richtung Flecken-Zechlin hat auch der passionierte Bootsangler Friedemann Henschel Folgendes erlebt: „Da werden sechs und mehr Flöße zusammengeschoben, auf denen Musikboxen und Bierfässer stehen. Paddler grölen laut in Naturschutzgebieten herum, und Charterboote ankern in der geschützten Uferzone. Wenn die Wasserschupos kommen, sind sie weg. An der kleinen Station Buchholz machen schon mal dreißig, vierzig Flöße fest.“ Angesichts dessen spricht er von Ballermann- und Massentourismus, der leider in MV angekommen sei. „Wo bleibt da der sanfte, der Natur-Tourismus?“

Beim Tourismusverband Seenplatte scheint das Problem noch nicht voll angekommen, zumindest spricht Mitarbeiterin Christin Drühl danach befragt lediglich von „sehr vereinzelten Beschwerden über Partys auf Booten“. Jedoch: Bedeutend höher sei der Anteil der Beschwerden über schlechte Radwege gewesen...