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Mauerfall

▶ Lichtermarsch weckt Emotionen

Dargun / Lesedauer: 4 min

Mit Lichtern in der Hand erinnerten in Dargun rund 120 Menschen an den Herbst 1989 und den Mauerfall. Auch in ihrer Stadt wurde damals nämlich demonstriert.
Veröffentlicht:10.11.2019, 17:27

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Ganz still sind damals etwa 200 Darguner mit einer brennenden Haushaltskerze von der Pfarrkirche aus durch die Stadt gezogen. Jeder habe seine Gedanken gehabt und gehofft, dass er wieder nach Hause kommt, sagte Hartmut Claassen. Er war Zeitzeuge des Herbstes 1989, im Jahr des Mauerfalls. „Eigentlich war es viel mutiger, mit 200 Menschen zu protestieren als mit 100 000“, meinte er.

Reichspogromnacht

Am Sonnabend erinnerte ein Lichtermarsch durch die Klosterseestadt an die Ereignisse vor 30 Jahren. Diesmal gingen etwa 120 Menschen den umgekehrten Weg und starteten an der alten Synagoge, dem Gemeindezentrum der Baptisten. Denn bei aller Freude über die glücklichste Nacht in der deutschen Geschichte, vom 9. auf den 10. November 1989, sollte auch an ein anderes Ereignis erinnert werden – an die Reichspogromnacht vor81 Jahren. Licht und Schatten lägen eng zusammen wie an keinem anderen Datum, meinte Markus Lippold von der Freikirche.

Karnevalisten ignorieren historisches Datum

Während die Gedenkenden mit Lichtern in der Hand in der Schloßstraße loszogen, machten sich zeitgleich Leute mit Kappe und Kostümen auf ins Deutsche Haus. Nicht nur, dass der Karnevalsverein zu früh in die neue Narrensaison gestartet ist, an einem so historisch bedeutenden Tag wie dem 9. November Karneval zu feiern, fanden viele sehr befremdlich und beschämend. „Aber das ist typisch für Dargun“, meinte eine Frau betroffen. Als sie und die anderen Teilnehmer des Lichtermarsches in der katholischen Kirche die Bilder von der legendären Pressekonferenz mit Günter Schabowski noch einmal sahen, lief vielen eine Gänsehaut über den Rücken. Manchen kamen die Tränen.

Die Gedanken sind frei

Bei der evangelischen Pfarrkirche angekommen, erleuchtete bei Glockenklang symbolisch eine Friedenstaube. Bei den Friedensgebeten 1989 seien die Kirchen aus allen Nähten geplatzt, erinnerte sich Pastor Alexander Uhlig und würdigte den Umbruch ohne Gewalt. Wie damals es die Pastoren gehalten haben, zog er auch keinen Talar zu diesem Abschlussgottesdienst an. Aus vollem Herzen sangen die Darguner das Lied „Die Gedanken sind frei“, in der Ur- und einer Neufassung. Von letzterer hatte Uhlig sogar einen alten Liedzettel mit Schreibmaschine getippt zeigen können.

Viele Erinnerungen

Hartmut Claassen, erster Bürgermeister nach der Wende, berichtete unterdessen vor dem Rathaus, der alten Roten Schule, dass die friedliche Revolution in den Norden erst später kam. Er und seine Frau seien am30. Oktober 1989 zunächst zum Friedensgebet nach Malchin gefahren und hätten dort demonstriert. Danach sei es in Dargun losgegangen. Am 4. November habe auf dem Hof der Roten Schule die erste Kundgebung stattgefunden. Er sei stolz, dass er dabei gewesen sei, auch wenn sie in Dargun nur ein kleines Rädchen im Gefüge waren.

Aufregende Zeit

„Damals war die Kirche brechend voll“, erzählte indes ein anderer Zeitzeuge. Der Aufruhr im Land habe ihn beflügelt, mitzumachen. „Wir wollten mit dabei sein, wollten Veränderung“, sagte er. Beim „Kreml“ in Malchin (dem Rat des Kreises) hätten sie auf der Mauer ihre Kerzen abgestellt. In Dargun könne er sich noch gut an die erste Kundgebung erinnern. Ein anderer erzählte von den Lichterketten, die sie in Teterow errichtet haben. „Es war eine aufregende Zeit.“ Wieder andere berichteten, dass sie gleich am 10. November mit ihrem Wartburg nach Lübeck gefahren seien und eine tolle Begebenheit hatten. In der Schlange bei der Auszahlung des Begrüßungsgeldes seien sie mit zwei jungen Männern ins Gespräch gekommen, die ein Paket unter dem Arm trugen. In diesem sei ein Bild vom Schloss Schwerin gewesen, das sie als Dank für die „Westbürger“ mitgebracht hatten. „Es war so viel Euphorie unter den Menschen.“

Eine Lehrerin erzählte, dass am Sonnabend drauf nach dem Mauerfall die Schule in Dargun fast leer war, weil die meisten in den Westen gefahren waren. Schweigsam wie die Kerzen-Demos damals in Dargun war der Lichtermarsch 30 Jahre später jedoch nicht. Unterwegs kamen Emotionen hoch und die Erinnerungen. „Es war sehr bewegend“, meinte eine Frau. „Ein richtig schöner Abend.“