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Reifen zerstochen

1200 feiern bei "Jamel rockt den Förster" gegen Neonazis

Jamel / Lesedauer: 4 min

Einmal im Jahr kommen namhafte Rockbands für ein Festival in ein winziges Dorf im Nordwesten Mecklenburgs. Besucher strömen herbei, um gegen die rechtsextremen Nachbarn zu demonstrieren.
Veröffentlicht:25.08.2019, 16:25
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In Jamel bei Wismar (Landkreis Nordwestmecklenburg) ist das „Jamel rockt den Förster”-Festival gegen Rechtsextremismus am Samstagabend zu Ende gegangen. Am zweiten Festivaltag spielten unter anderem Mia, Thees Uhlmann und Feine Sahne Fischfilet. Bereits am Freitag waren Großstadtgeflüster, die Donots, Max Herre und Samy Deluxe aufgetreten. Mit „Jamel rockt den Förster” protestiert das Künstlerehepaar Birgit und Horst Lohmeyer gegen ihre rechtsextremen Nachbarn – und dreht einmal im Jahr für zwei Tage die Macht- und Mehrheitsverhältnisse im Dorf um.

Sven Krüger, ein bundesweit bekannter und vielfach vorbestrafter Rechtsextremist, gilt als deren Anführer. Auf seinem Grundstück weht vom Festivaleingang aus gut sichtbar eine schwarz-weiß-rote Fahne. Am Samstag versammelten sich nach Polizeiangaben mehr als 40 Personen auf seinem Gehöft zu einem „Grillen gegen Links”. Unbekannte zerstachen am Abend die Reifen an vier Autos von Festivalbesuchern. Die Wagen hätten an einer schlecht beleuchteten Stelle des Parkplatzes gestanden, sagte eine Polizeisprecherin. Es seien zwei Täter beobachtet worden, die wegliefen, jedoch nicht mehr gestellt werden konnten.

Initiatoren wollen „No-Go-Area” aufbrechen

Birgit und Horst Lohmeyer zogen 2004 auf den alten Forsthof, auf dem heute das Festival stattfindet. Krüger und seine „Kameraden” waren da schon da, die Anfeindungen ließen nicht lange auf sich warten. Ein trauriger Höhepunkt war das Jahr 2015, als bis heute unbekannt gebliebene Täter die Scheune der Lohmeyers niederbrannten.

„Es gibt einen Grund, warum das hier das wichtigste Festival ist: Eine No-Go-Area aufzubrechen, dafür braucht man einen geraden Rücken”, hatte Donots-Sänger Ingo Knollmann am Freitag auf der Bühne gesagt. „Gut, dass Leute aus der ganzen Republik da sind, Künstler und Ehrenamtliche und endlich die Schnauze aufmachen – das geht nur gemeinsam.”

Nach dem Brand damals kamen Die Toten Hosen zum Überraschungsbesuch, seitdem trat eine große Band nach der anderen auf, darunter Die Ärzte, Marteria, Beatsteaks und im vorigen Jahr Herbert Grönemeyer. Damit das ehrenamtlich organisierte „Forstrock” davon nicht überrollt wird, bleiben die Bands bis zum Auftritt geheim. Trotzdem waren die Tickets für dieses Jahr schon im November ausverkauft, sagen die Lohmeyers.

Zur Eröffnung am Freitag überreichte DGB-Chef Reiner Hoffmann ihnen eine Demokratieaktie im Wert von 5000 Euro. „Ich bin davon überzeugt, sie ist gut angelegt”, sagte Hoffmann. Die Demokratieaktie ist eine Initiative, die sich seit 2008 für ein demokratisches, freiheitliches und weltoffenes Mecklenburg-Vorpommern stark macht. „Forstrock”-Schirmherrin und Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte: „Wir sagen Horst und Birgit Danke, weil sie nicht nur an diesem wunderbaren Tag, sondern an 365 Tagen im Jahr Flagge zeigen gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Sie sind unsere Vorbilder, solche Leute brauchen wir.”

Neuer Bürgermeister will einige Dinge anders machen

Das sehen offensichtlich nicht alle so. In der Gemeindevertretung von Gägelow, zu dem Jamel gehört, sitzt seit der Kommunalwahl im Mai auch Sven Krüger für eine rechte Wählergemeinschaft. Mit 281 Stimmen zog er in das Gremium ein, nur die lokale Politprominenz – Linken-Landtagsfraktionschefin Simone Oldenburg – erhielt mehr Stimmen.

Birgit Lohmeyer hatte sich für die SPD zur Wahl gestellt und scheiterte mit 37 Stimmen deutlich. „In wie vielen Köpfen hier rechtsextreme Straftäter als normale Menschen verankert sind, das hatte ich in der hohen Anzahl nicht erwartet”, hatte sie vor dem Festival gesagt. Der neue Bürgermeister Friedel Helms-Ferlemann (CDU) kam am Freitag zu Besuch. Er kündigte bereits an, einige Dinge anders machen zu wollen als sein Vorgänger, der immer wieder für einen zu laschen Umgang mit den Rechtsextremisten kritisiert worden war.

Eine Wiese in Jamels Dorfmitte war 2018 für 65 Euro im Jahr an einen der Neonazis verpachtet worden. Das kommunale Grasland diente unter anderem der Polizei als Abstellfläche für ihre Kontrollen, wenn auf dem Grundstück Krügers Neonazis feierten. Nachdem die Verpachtung öffentlich wurde, beschäftigte sich die alte Gemeindevertretung mit dem Fall – und bestätigte den Vertrag mit deutlicher Mehrheit. Helms-Ferlemann will den Pachtvertrag nun prüfen und kündigen lassen, sagt er. Doch am Ende müssten wieder die Gemeindevertreter entscheiden.