StartseiteRegionalDemmin▶ Nazi-Vergleich im Daberkower Windkraft-Streit

Hitzige Debatten

▶ Nazi-Vergleich im Daberkower Windkraft-Streit

Daberkow / Lesedauer: 5 min

Eigentlich wollte Daberkows Gemeindevertretung jetzt über eine mögliche Kehrtwende in ihrer Windkraft-Politik abstimmen. Doch dann wurde der Punkt plötzlich abgesetzt, stattdessen gab es scharfe Debatten zwischen Abgeordneten und Publikum begleitet von lautstarkem Protest vorm Gutshaus
Veröffentlicht:07.03.2020, 07:14

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Wie steht jeder einzelne Abgeordnete zum Thema Windkraft und dem Umstand, dass anscheinend eine große Mehrheit der an die 350 Einwohner zählenden Gemeinde Daberkow mehr Rotorentürme vor ihrer Haustür ablehnt? Das war das dominierende Thema der jüngsten Ratssitzung am Donnerstagabend. Denn dort sollte über die Empfehlung des Bauausschusses debattiert werden, den im November 2017 gefassten Beschluss „Die Errichtung von Windkraftanlagen auf dem Gemeindegebiet wird abgelehnt“ zu kippen.

Laustarke Proteste vor der Tür

Vor diesem Hintergrund tauchten zunehmend Protestplakate in der Öffentlichkeit auf, gab es am Montag eine von mehr als 70 Erwachsenen besuchte Einwohnerversammlung. Allerdings sagte die Hamburger Firma, die Ideen für einen Windpark nördlich von Daberkow hegt, den Termin kurzfristig ab. Und auch die als Befürworter einer Kehrtwende bekannten Abgeordneten verließen daraufhin den Saal (Nordkurier berichtete). Insbesondere ihnen galten am Donnerstag die lautstarken Proteste einer großen Schar vorm Gutshaus. Drinnen schließlich wären solche Willensbekundungen nicht erlaubt gewesen, ebenso wenig wie Nachfragen. Die Kommunalverfassung untersagt so etwas nämlich zu aktuellen Tagesordnungspunkten.

Doch dann kam es plötzlich anders: Der erste stellvertretende Bürgermeister Thomas Kröchert, einer der vom besagten Windpark vermutlich profitierenden Grundeigentümer, beantragte die Absetzung des Punktes. Und bekam dafür mit den Stimmen von Horst Misterek, Jens Michael und Raik Mulsow die Mehrheit, während der Bürgermeister und seine Frau, Olaf und Felicitas Hecht, sowie Thomas Rosslau dagegen votierten. Dieses Trio kämpft zwar für die Beibehaltung der Schutzklausel, wollte das Thema aber endlich vom Tisch haben. Während die anderen vier keine Eile, sondern weiteren Redebedarf ausmachten.

„Ich muss mich dafür nicht rechtfertigen“

Bevor dem in der Einwohnerfragestunde ausgiebig Platz verschafft wurde, verkündete das Dorfoberhaupt noch zwei Personalentscheidungen, die sein Wählerbündnis „Wir für Daberkow“ betreffen, das bei der Kommunalwahl 2019 fast 70 Prozent der Stimmen und damit fünf der sieben Mandate holte. Wohl nicht zuletzt auch, weil es offiziell für den Kampf gegen noch mehr Windkraft in der Region stand. Demnach hat Misterek bereits im Dezember seinen Austritt aus dieser Gemeinschaft bekannt gegeben, am Dienstag nun folgte Kröchert.

Er sehe keinen Sinn mehr, in einem Wählerbündnis zwei bis drei Tage vor einer Sitzung zu besprechen, was dort behandelt wird und wie, begründete Ersterer am Donnerstag diesen Schritt. Der andere führte ins Feld, dass es inzwischen nicht mehr so viele Schnittmengen mit Bürgermeister Hecht und dessen Mitstreitern gebe. „Das ist Demokratie. Ich muss mich dafür nicht rechtfertigen. Ich bringe hier mein Wissen und Gewissen ein“, sagte Kröchert. Seine wichtigsten Themen seien Landwirtschaft und Wasser, doch im Übrigen sei es keineswegs neu, dass er nichts gegen weitere Windkraftanlagen hätte. Er bevorzuge diese alternative Art der Stromerzeugung für die Energiewende in Deutschland und wisse sich da eins mit der großen Politik.

Ähnlich argumentierte der zweite Vizebürgermeister Michael, der für die Wählergemeinschaft „Für die Gemeinde Daberkow“ in der Runde sitzt und nie einen Hehl daraus machte, pro Windparks eingestellt zu sein. In ihrer Gruppe habe das Thema im Vorfeld der Wahl keine Rolle gespielt, erklärte der Mann. Er bezweifelte die Aussagen der Gegner, dass sich der so hierzulande gewonnene Strom oft zu einem beträchtlichen Teil gar nicht nutzen lässt, weil Leitungen oder Speicherkapazitäten fehlen.

Besonders ins Kreuzfeuer gerieten Kröchert und Misterek, weil ihnen offenbar viele im rund 60-köpfigen Publikum den Austritt aus dem Wählerbündnis und aktiven Einsatz pro Stromspargel übelnehmen. Immer wieder gab es dazu Nachfragen und Appelle an ihr Gewissen, aber auch so manchen lauten Zwischenruf. Sie hätten die Leute in die Irre geführt und nur ihren eigenen Vorteil im Blick, so die Quintessenz der Vorwürfe. Während andere deshalb mit dem Anblick und weiteren Folgen zusätzlicher Rotorentürme leben müssten, bis hin zu erheblichem Wertverlust ihrer mitunter noch gar nicht abbezahlten Immobilien.

Langer Beifall für Rücktrittsforderung

Das setzte viele scharfe Worte und Frust frei, von fiesen Tricks, Geldgier und Wahlbetrug war wiederholt die Rede. „Ich bin schwer enttäuscht“, äußerte beispielsweise Rentner Harry Giermann. Er habe Kröchert und Misterek auf dem Stimmzettel angekreuzt, weil sie hinter einem Wahlprogramm standen, das seinen Vorstellungen entsprochen habe. „Ich finde, sie haben so jetzt kein Recht mehr, in dieser Gemeindevertretung zu sitzen“, erklärte er, ringsherum langen Beifall erntend.

Einzelbewerber Mulsow derweil verglich die Situation mit der Nazizeit und damaligen Verfolgung Andersdenkender. Als so mancher Lokalpolitiker mal lieber seinem Gewissen hätte folgen sollen statt öffentlicher Hetze. Er warf den Vergleich mit Schafen in den Raum. „Ich verstehe die Betroffenheit von Leuten, aber es gibt keine Alternative zur Windenergie. Es gibt immer Situationen, die viel größer sind. Aber da wird eine Welle gemacht, das ist wie im Dritten Reich. Auf Hass kann man nicht reagieren.“ Er sei jetzt nicht konkret für einen Windpark in der Kommune, machte der Wietzower klar, aber er halte das politische Signal für fatal, als Gemeinde generell Nein zu den Anlagen zu sagen.

Der Nazi-Vergleich erntete barsche Entgegnungen, verbunden mit der Klarstellung des Bürgermeisters, dass wohl gerade in Daberkow kaum einer generell gegen die Windkraft sei. „Keiner von uns ist so blöd, dass er nicht weiß, dass es neue Lösungen geben muss.“ Die Vertreter der Region Rügen sowie der Städte Stralsund und Greifswald versuchten allerdings gerade mit ihrem Stimmenübergewicht im Planungsverband, das vom Land geforderte Mehr an Windkraftanlagen möglichst von sich selbst fernzuhalten und stattdessen im Süden Vorpommerns zu konzentrieren. Dort, wo es heute schon deutlich mehr davon gebe als sonst wo. „Und wo die Kacke erst mal liegt, da wird noch mehr drauf geschissen“, befürchtete Hecht. Genau dies solle der Beschluss von 2017 verhindern.