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Tatort Wohnung

Hat die Corona-Krise zu mehr häuslicher Gewalt geführt?

Demmin / Lesedauer: 3 min

In Ballungsräumen scheinen die Corona-Einschränkungen wie befürchtet zu mehr häuslicher Gewalt zu führen. Doch wie steht es in kleineren Städten wie Demmin?
Veröffentlicht:04.07.2020, 06:48

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Kontaktbeschränkungen, geschlossene Schulen und Kitas, Home Office, Kurzarbeit, Zukunftsängste: Die Auswirkungen der Corona-Krise haben viele Familien vor große Herausforderungen gestellt. Das tägliche Leben spielte sich über mehrere Monate hauptsächlich in den eigenen vier Wänden ab. Ein echter Stresstest für Eltern und Kinder, der auch ein gesteigertes Konfliktpotenzial in sich birgt.

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Wissenschaftler und Opferverbände hatten deshalb bereits frühzeitig davor gewarnt, dass die Fälle von häuslicher Gewalt und Kindeswohlgefährdung in dieser ungewohnten Ausnahmesituation drastisch zunehmen könnten. Wie aktuelle Studien zeigen, haben sich derartige Befürchtungen in deutschen Millionenmetropolen anscheinend bewahrheitet. So sind die Gewalttaten in der eigenen Wohnung in Berlin nach Einschätzung von Justiz und Rechtsmedizin um bis zu 30 Prozent gestiegen.

Im Juni doppelt so viele Erstberatungen wie sonst

Wenn es allein nach den Zahlen geht, ist von solchen Entwicklungen in unserer Region bislang nichts zu merken. Im Zuständigkeitsbereich des Polizeihauptreviers Demmin wurden im Zeitraum von März bis Juni 15 Fälle registriert, bei denen es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen im häuslichen Bereich kam. Das sind vier mehr als im Vorjahreszeitraum. Ob sich dieser leichte Anstieg auf eine ‚normale‘ Schwankung zurückführen lässt oder tatsächlich mit der coronabedingten Isolation zusammenhängt, kann laut Polizei erst mit Gewissheit gesagt werden, wenn die neue Kriminalstatistik vorliegt. „Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass wir bei solchen Straftaten auch vor Corona schon eine hohe Dunkelziffer hatten“, betont Polizeisprecherin Kathrin Jähner.

Die Betroffenen würden sich zwar Unterstützung bei Hilfeeinrichtungen holen, aber oft auf eine Anzeige bei der Polizei verzichten – aus Sorge vor weiteren Repressionen. Diese Furcht könnte ein Grund dafür sein, dass bei den Beratungsstellen in der Mecklenburgischen Seenplatte in den vergangenen Wochen nahezu ununterbrochen das Telefon klingelte. „Gerade im Juni haben wir doppelt so viele Erstberatungen durchgeführt wie sonst. Mit zunehmenden Lockerungen stieg die Nachfrage nach persönlichen Treffen, weil die Betroffenen oft Angst haben, dass sie beim Telefonieren von ihrem gewaltbereiten Partner ertappt werden“, erklärt eine Mitarbeiterin. Das Problem der häuslichen Gewalt sei aber in den meisten Fällen bereits vorhanden gewesen und durch zusätzliche Stressfaktoren wie das Leben auf engem Raum, den fehlenden Austausch mit anderen oder finanzielle Probleme weiter verstärkt worden.

Deutlich weniger Kindeswohlgefährdungen

Dabei sind es längst nicht nur Frauen, die Opfer von Übergriffen in den eigenen vier Wänden werden. „Es gibt durchaus auch Männer, die sich bei uns melden. Nur erfährt man eher selten davon, da sie meist aus Scham schweigen“, weiß die Frau von der Beratungsstelle. Die Zahl der gemeldeten Kindeswohlgefährdungen im Landkreis ist in den vergangenen Monaten erfreulicherweise nicht gestiegen, wie aus einer internen Statistik des Kreisjugendamtes hervorgeht. Waren im vergangenen Jahr zwischen März und Juni noch 365 Kinder davon betroffen, sind es 2020 im selben Zeitraum 265 – eine Zahl, die trotzdem noch erschreckend ist.

Deswegen dürfe nicht einfach weggeschaut werden, wenn man mitbekommt, dass Freunde, Nachbarn oder Familienangehörige seelischer oder körperlicher Gewalt ausgesetzt sind. „Stattdessen sollte man den Betroffenen zuhören und ihnen Unterstützung anbieten, indem beispielsweise der Kontakt zu einer Beratungsstelle vermittelt wird. Natürlich kann jeder Bürger auch die Polizei informieren, wenn sich jemand bedroht fühlt. Grundsätzlich sollte jede Form von häuslicher Gewalt zur Anzeige gebracht werden“, rät die Polizeisprecherin.