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Nachruf

Demminer Chefreporter Georg Wagner ist tot

Demmin / Lesedauer: 6 min

Unser Demminer Chefreporter Georg Wagner wollte eigentlich wenigstens noch einen letzten Artikel schreiben, er hätte an dieser Stelle erscheinen sollen. Seine Kraft hat dafür nicht mehr ausgereicht.
Veröffentlicht:20.07.2019, 09:19
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Auf einmal geschah etwas, was die Kollegen stutzig machte, was sie so nicht kannten, was sie bei Georg Wagner noch nie erlebt hatten. In seinen sonst so klaren und klugen Texten mit ihren wundervoll hintersinnigen Beigaben tauchten da gelegentlich Fehler auf.

Merkwürdig. Eigentlich sogar unbegreiflich. Fehler, bei ihm, einem Muster an Zuverlässigkeit und Genauigkeit, dem zum Glück dabei jeder Hang zur Pedanterie fehlte. Ein Feingeist, aber auch ein Freigeist, belesen wie nur wenige, und wie ein Bücherwurm sah er ja auch ein wenig aus, dieser kleine, feine Mann mit der klugen Brille – ein Glück nur, dass er nie wie einer schrieb.

Er musste sich nicht einschließen, um an seinen Texten zu drechseln, er feuerte seine Sätze auch im größten Gewühl ab. Politischer Aschermittwoch mit Angela Merkel, mittendrin Georg Wagner – Peng: Text fertig. Analytisch oder ironisch, wie es eben passte. Oder die Demos in Demmin, 8. Mai, überall Geschrei, Polizei. Einer wie Georg Wagner gehört da doch nicht auf die Straße, hätten vielleicht Leute gedacht, die ihn nicht so gut kannten. Doch, gehörte er. Das konnte er nämlich auch. Und hielt es für seine Pflicht, für seine Leser dort zu sein, wo ein Reporter hingehört.

Großartiges Spiel mit Widersprüchlichkeiten

Georg Wagner war dabei ein völlig anderer Typ als sein Kollege Thoralf Plath, dieser riesige Kerl mit der wilden Frisur, in seinem Nachruf nannten wir ihn vor zwei Jahren einen Buchstaben-Wikinger, der jeden Tag mit vollen Segeln loszog, um das Leben einzufangen. Thoralf war Emotion pur, sein ganzes Leben Auflehnung. Gegen Obrigkeiten, gegen Resignation, gegen Ungerechtigkeit. Mit 54 Jahren mussten wir ihn dann beerdigen, verdammt und viel zu früh, wir reden immer noch oft über ihn.

Als dann auch noch Gudrun Herzberg nach 40 Jahren als Reporterin in Rente ging, war da aber immer noch der große kleine Georg Wagner, der aus der Demminer Lokalredaktion eine Perle im großen Nordkurier-Land machte.

Er war nicht nur ein Experte für Kommunalpolitik, sondern konnte auch so begnadet über Kaugummiautomaten schreiben, dass man mit den Tränen kämpfen musste. So ging es zumindest seinem Kollegen, der diesen Text hier schreibt, und so ging es ihm auch immer wieder bei den „Ganz nebenbei“-Kolumnen, die Georg Wagner in unvergleichlicher Manier schrieb. Sie waren ein großartiges Spiel mit den Widersprüchlichkeiten der menschlichen Natur und Geschichte, heitere Melancholie steckte oft darin und immer wieder ein fast schon zärtlicher Anstoß, eben deswegen das Leben als ein Geschenk anzusehen.

Ein großes Geschenk für eine verwundete Stadt

Es war wohl nur gerecht, dass ausgerechnet Demmin durch einen Zufall so einen Reporter geschenkt bekam. Diese Stadt, die durch die NS-Verbrechen am Ende des Krieges so furchtbar bestraft wurde, die sich über viele Jahre in der DDR ihrer eigenen tragischen Geschichte nicht stellen konnte, deren Erinnerung dann missbraucht und politisch instrumentalisiert werden sollte: Diese Stadt brauchte einen wie Georg Wagner, der anfangs mit dem Blick von Außen, später mit der immer intimeren Kenntnis des Langzeit-Reporters dieses Thema bearbeiten konnte.

Jedenfalls hat die damalige Chefredaktion alles richtig gemacht, als sie diesen 32-jährigen Mann aus der Nähe von Augsburg 1992 zum Vorstellungsgespräch einlud. Die bayerische Heimat war ihm zu eng geworden, die Neugier auf das, was da im Osten geschah, unverfälscht und groß. Sie nahmen ihn – und der Nordkurier sollte es nie bereuen.

Text um Text und dazu tolle Fotos, es ist ein gewaltiger Schatz, der da in 27 Jahren gewachsen ist. Gewachsen ist in dieser Zeit auch immer weiter die Wertschätzung, die Georg Wagner genoss. Weil er bescheiden und liebenswürdig war, weil er wirklich und aufrichtig immer gerne geholfen hat. Jungen Kollegen, die einen Rat suchten genau so wie Vorgesetzten, die eine ehrliche Einschätzung wollten. „Das kann man so machen, Herr Mladek …“ – wenn er so anfing, war klar, was folgte. Man ließ es dann natürlich bleiben. Denn Georg Wagner war nicht nur klug, sondern auch ehrlich, ohne jemals auftrumpfend zu sein. Er suchte und fand überall Dinge, die es wert waren, mit Respekt behandelt zu werden. Kleine Geschichten waren das manchmal nur – die dadurch zu großen Themen wurden.

Die Kollegen flehten ihn an, zum Arzt zu gehen

Jedenfalls, als dieser Mann dann plötzlich anfing, Fehler zu machen, als er dann von Kopfschmerzen sprach und davon, dass er vielleicht einfach nur mal Urlaub brauche, da schrillten alle Alarmglocken. Die Kollegen flehten ihn an, zum Arzt zu gehen, aber für so etwas hatte Georg Wagner keine Zeit, er musste doch seine Geschichten schreiben. Die Kollegin strich diese Geschichten dann – bisher undenkbar – einfach aus der Zeitung für den nächsten Tag, und niemand hätte vor zwei Monaten auch nur geahnt, dass wir nie wieder ein Thema von ihm würden einplanen können.

Jetzt also hätte er zum Arzt gehen können, aber das wollte er immer noch nicht. Ein anderer Kollege fuhr dann los und überredete ihn, mit ihm in die Demminer Notaufnahme zu gehen. Von dort ging es direkt ins Klinikum nach Greifswald. Georg Wagner sollte seine Redaktion, sein Boot und seine Wohnung nie wieder sehen. Auch das ahnte natürlich noch keiner. Nach wenigen Tagen dann die schwere Operation, die er einigermaßen überstanden zu haben schien. Aber das war nur das, was Menschen glauben wollen, wenn sie einen anderen Menschen ins Herz geschlossen haben.

Ich selbst konnte mich zwei Mal von Georg Wagner verabschieden. Am Tag vor der Operation, von der klar war, dass sie womöglich alles verändern würde. Und dann noch einmal, als seine Geschwister ihn nach Bayern holten, damit sie bei ihm sein konnten, als es zu Ende ging.

Georg Wagner war da noch in vielen Momenten klar und der, der er zuvor war. Ich konnte ihm sagen, dass es mir eine Ehre war, mit ihm zu arbeiten. Und immer eine Freude, ihn zu lesen. Einen Text wollte er da eigentlich noch schreiben. Er wollte sich von den Menschen verabschieden, für die er so lange als Reporter da war.

Die Kraft hat dafür dann nicht mehr gereicht. Sein Bruder sagt, dass Georg Wagner friedlich eingeschlafen ist. Ort und Zeitpunkt seiner Beerdigung stehen gegenwärtig noch nicht fest.

Das klingt nach einem versöhnlichen Ende. Aber so sollten Geschichten trotzdem nicht aufhören.