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Ist die Europäische Sumpfschildkröte in Deutschland noch zu retten?

Linum / Lesedauer: 5 min

Die vermutlich letzte natürliche Population der einst deutschlandweit verbreiteten Europäischen Sumpfschildkröte lebt in der Uckermark. Damit sie nicht ausstirbt, züchten Naturschützer nach. Was hat der Waschbär mit der Sache zu tun?
Veröffentlicht:27.08.2020, 08:24
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Ein Dutzend weiße Plastikkästen steht im Garten der Naturschutzstation Rhinluch in Linum im nordwestlichen Brandenburg. Im flachen Wasser schwimmen Blätter und kleine Zweige. Dazwischen tummeln sich Mini-Schildkröten, etwa so groß wie Walnüsse oder Tischtennisbälle. „Das ist unsere Babystation. Die Tiere sind erst kürzlich geschlüpft”, erklärt Norbert Schneeweiß, Leiter der Station.

Werden die Tiere größer, ziehen sie um in eine kleine Teichlandschaft mit Schilf, Wasserpflanzen, Steinen und Ästen – als Vorbereitung für die spätere Auswilderung in die freie Natur. In der aktuellen Augusthitze ist dort jedoch keine der Europäischen Sumpfschildkröten über Wasser zu sehen. „Als wechselwarme Tiere lieben sie zwar die Sonne, aber der Panzer heizt sich bei hohen Temperaturen schnell auf und sie würden kollabieren”, sagt Schneeweiß. Die Hitze und die damit verbundene Trockenheit machen ihm Sorgen. Denn viele der seit Jahren genutzten Auswilderungsgewässer sind in diesem Jahr trocken.

Schildkröten-geeignete Flächen von Landwirten abgekauft

Die Europäische Sumpfschildkröte ist die einzige Schildkrötenart, die in Mitteleuropa natürlicherweise vorkommt. In Deutschland, Österreich und der Schweiz steht sie jedoch auf der Roten Liste vom Aussterben bedrohter Tiere. Die seltenen Nachweise von Tieren in Deutschland gehen nach Ansicht von Experten sehr wahrscheinlich auf absichtliche oder unkontrollierte Aussetzungen zurück. In der Uckermark wurde 1998 die letzte natürliche Population auf deutschem Boden entdeckt, sagt Schneeweiß. „Das waren 70 bis 80 Exemplare, darunter jedoch keine Jungtiere. Für uns Naturschützer war das alarmierend, denn das hieß, es gibt keinen Schildkröten-Nachwuchs, der Bestand stirbt allmählich aus”, macht der Biologe deutlich.

Mit Hilfe unterschiedlicher Stiftungen und Fördertöpfe startete das einzigartige Rettungsprojekt für die Europäische Sumpfschildkröte in Deutschland. Über dieses Projekt hinaus gibt es in einigen Bundesländern weitere Auswilderungsprojekte, über die die Tiere regional wieder heimisch werden sollen, etwa in Rheinland-Pfalz, Hessen und Niedersachsen.

Mehr lesen: Erste Jungtiere von Sumpfschildkröten seit 40 Jahren

„Die von uns entdeckten Tiere hatten Eier abgelegt, doch die Plätze dafür waren ungeeignet, es schlüpfte kein Nachwuchs," erinnert er sich. Die Naturschützer nahmen die Gelege mit, brüteten sie in der Station künstlich aus. Gleichzeitig kauften sie von Landwirten Schildkröten-geeignete Flächen auf für die Auswilderung. Im Alter von zwei Jahren und einer Panzergröße von sieben bis zehn Zentimetern geht es für die nachgezüchteten Reptilien in die Freiheit. Je größer und kräftiger die in Linum aufgezogenen Schildkröten sind, umso besser stehen laut Schneeweiß die Chancen, dass sie in der Natur auch überleben können. „Die Tiere leben in kleinen Gewässern aber auch Mooren, in denen sie sich von Mückenlarven, Regenwürmern und Krebstieren ernähren und keine Fische als Nahrungskonkurrenten haben”, erklärt der Schildkröten-Experte.

Europäische Sumpfschildkröte erst mit 14 Jahren geschlechtsreif

Diese Tümpel, Teiche oder Feldsölle aber würden am schnellsten austrocknen. Weitere Gefahren seien Waschbären oder Marderhunde, die Schildkröten aus dem flachen Wasser fischen und fressen, sagt Schneeweiß. „Waschbären sind in der Tat die größte Gefahr für das Projekt. Würden die nordamerikanischen Räuber sich nicht so stark vermehren, wäre die Erfolgsquote für die Schildkröten weitaus höher”, bestätigt Zoologe Uwe Fritz vom Senckenberg-Institut Dresden.

Auch ausgesetzte Exoten wie Rotwangenschmuckschildkröten verdrängten die einheimische Reptilienart. Ein wichtiges Indiz dafür, dass Sumpfschildkröten in der freien Natur überleben, sei die Fortpflanzung und Aufzucht von Nachwuchs, sagt Schneeweiß. Erst mit 14 Jahren sind Europäische Sumpfschildkröten geschlechtsreif. „Wenn wir von uns nachgezüchtete Tiere an den uns bekannten Eiablageplätzen auf sonnigen Trockenrasengebieten wieder finden, ist das ein gutes Zeichen.”

Die Schildkröten ließen sich anhand ihrer Gesichtsmusterung unterscheiden, sagt der Experte. Alle Exemplare würden vor der Auswilderung fern jeglicher Zivilisation fotografiert, vermessen und gewogen. Die sehr scheuen und weitgehend unter Wasser lebenden Tiere in der Natur zu beobachten sei für Laien nahezu unmöglich. Gelegenheit dazu gibt es hingegen im Naturerlebniszentrum Blumberger Mühle bei Angermünde in der brandenburgischen Landkreis Uckermark.

Im Frühjahr diesen Jahres 28 Sumpfschildkröten an Teich-Anlage gezählt

Dort hat der Naturschutzbund (Nabu) vor 17 Jahren eine eigene, über eine hölzerne Brücke begehbare Teich-Anlage gebaut – nach Angaben von Leiterin Aija Torkler der absolute Besuchermagnet. „Unsere Tiere sind natürlich an den Menschen gewöhnt. Sie verschwinden nicht gleich im Wasser, sobald sich jemand vorsichtig nähert”, sagt sie. Im Frühjahr 2020 seien dort 28 Sumpfschildkröten gezählt worden. Außerdem wurden Eierschalen entdeckt, ein Zeichen dafür, dass auch Jungtiere geschlüpft sind.

Bemühungen zur Rettung der Europäischen Sumpfschildkröte in freier Natur hält Torkler für sinnvoll und wichtig. „Um zu verhindern, dass Tierarten gänzlich verschwinden, muss der Mensch eingreifen”, sagt sie. Das Brandenburger Projekt sei ausgesprochen gut, meint auch der Dresdner Zoologe Uwe Fritz. „Hier kümmert sich der Naturschutz tatsächlich um etwas, was noch da ist und versucht es zu erhalten.” Biologe Schneeweiß ist überzeugt davon, dass sich die Anstrengungen lohnen. „Wir haben in der Natur auch schon Exemplare entdeckt, die wir nicht kennen, also nicht aus unserer Zucht stammen. Ohne unsere Hilfe würde es die Europäische Sumpfschildkröte in Deutschland schon längst nicht mehr geben”, sagt er und Experte Fritz pflichtet ihm bei.