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Hat Vorpommern zu viele Windräder?

Greifswald / Lesedauer: 6 min

Es sollte bald ein versöhnliches Ende werden mit neuen Eignungsgebieten für Windkraftlangen in ganz Vorpommern. Nur wie fair sind die Flächen in den Landkreisen verteilt?
Veröffentlicht:20.06.2020, 09:41

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„An den Planungsverband und an die Verbandsversammlung: Nehmen Sie bitte ihre Verantwortung für die Bürger und die Bürgerrechte dieses Landkreises und die Demokratie wahr.“ Es sind große Worte, die Jens Pörksen an die nach und nach eintreffenden Mitglieder der Verbandsversammlung des Regionalen Planungsverbandes Vorpommern hat.

Er steht mit etwa 50 anderen Demonstranten vor dem Kulturbahnhof, dem Versammlungsort in Greifswald. Sie halten Transparente und Schilder in die Höhe. Sie sind gegen das, was gleich in dem großen Saal des Demokratiebahnhofes entschieden wird: Den Beschluss, dass über 5.100 Hektar in Vorpommern zukünftig Eignungsgebiete für den Bau von Windkraftanlagen sind.

Sie demonstrieren nicht zum ersten Mal gegen die Entscheidungen des Verbands. Und doch hat sich erstmals etwas geändert. Auf dieser Sitzung haben die Demonstranten nicht nur vor dem Sitzungssaal eine Stimme, sondern auch in ihm.

19 mögliche Windkraft-Flächen sollen nochmal geprüft werden

Seit über sieben Jahren planen die Landkreise Vorpommern-Greifswald und Vorpommern-Rügen im gemeinsamen Regionalen Planungsverband Vorpommern an Windkrafteignungsgebieten für die gesamte Region. Am Dienstag beschloss die Verbandsversammlung mehrheitlich die vierte Öffentlichkeitsbeteiligung, in der wieder leichte Veränderungen in den Eignungsgebieten vorgenommen wurden, und einigte sich auf eine fünfte und dann finale Abwägung, in der erneut die Öffentlichkeit befragt werden soll. Dann sollen 19 der insgesamt 48 Flächen, auf denen der Bau von Windkraftanlagen künftig möglich sein soll, noch mal auf den Prüfstand kommen.

Doch auf den letzten Metern, kurz bevor nach Jahren der Unwegsamkeiten und Anpassungen, teils bedingt durch die Öffentlichkeit, teils bedingt durch Gerichtsurteile, ein Ziel in Sicht ist, beginnt die Union der Landkreise zu straucheln und aus dem Gleichgewicht zu geraten. Denn genau hier sieht einer der Partner das Problem. Ein immer größer werdendes Ungleichgewicht zugunsten von Vorpommern-Rügen und zur Last von Vorpommern-Greifswald.

Der nördliche Landkreis Vorpommern-Rügen hat weniger Flächen für Windenergieanlagen, da er dichter besiedelt ist und auf der Insel Rügen die Bebauung eingeschränkt ist.
Der nördliche Landkreis Vorpommern-Rügen hat weniger Flächen für Windenergieanlagen, da er dichter besiedelt ist und auf der Insel Rügen die Bebauung eingeschränkt ist. (Foto: Nordkurier-Grafik/C.Sauerteig, D. Focke)
Der nördliche Landkreis Vorpommern-Rügen hat weniger Flächen für Windenergieanlagen, da er dichter besiedelt ist und auf der Insel Rügen die Bebauung eingeschränkt ist. (Foto: Nordkurier-Grafik/C.Sauerteig, D. Focke) (Foto: Nordkurier-Grafik/C.Sauerteig, D. Focke)

Prüfung der „Trennung der Planungsregion Vorpommern”

Was war geschehen? Nur einen Tag vor der Sitzung der Verbandsversammlung positionierte sich am Montag bereits der Kreistag Vorpommern-Greifswald und gab Landrat Michael Sack (CDU) dadurch einen Auftrag, mit dessen Umsetzung er kaum warten wollte. Der Kreistag stimmte mehrheitlich für einen Antrag der Fraktionen Freie Demokraten/Freier Horizont/Bürgerliste Greifswald und der Christdemokraten. Der Beschluss fordert Sack zu der Prüfung auf, „unter welchen Bedingungen eine Trennung der Planungsregion Vorpommern in eine Planungsregion Vorpommern-Rügen und eine Planungsregion Vorpommern-Greifswald möglich ist“. Zudem sollen Vorteile und Nachteile abgewogen werden.

Über 85 Prozent der Windräder-Flächen in Vorpommern-Greifswald

Argumente, warum die aktuelle Situation für den eigenen Kreis nachteilig sei, hatten und die Antragsteller direkt mitgeliefert, was den Landrat in die Situation versetzte, sie auf der Verbandsversammlung nur einen Tag später vorzutragen, was er gegenüber dem erstaunten Plenum tat: „Das schlüssige gesamträumliche Konzept mag für das Thema Windkraft durchaus zutreffend sein, für unsere Planungsregion ist es aus meiner Sicht nicht gut, denn es schafft eine unglaubliche Schieflage. Wir haben etwa 87 Prozent der Fläche in Vorpommern-Greifswald und 13 Prozent in Vorpommern-Rügen.“

Was Sack für seine neue politische Mission hält, stößt bei einem Großteil der Anwesenden auf schieres Unverständnis. Traditionsgemäß sind alle Gremien des Planungsverbandes zu gleichen Teilen mit Mitgliedern aus beiden Kreisen besetzt. Aus Gründen der Fairness. Nach Sacks Redebeitrag ergreifen mit nur einer Ausnahme Mitglieder des Verbandes aus seinem eigenen Landkreis, aus Vorpommern-Greifswald, die Initiative und zeigen, dass sie mit den Drohungen ihres Landrates keineswegs einverstanden sind.

Die beschlossenen Eignungsgebiete für Windenergieanlagen in Graublau und die Änderungsvorschläge in Rot und mit
Die beschlossenen Eignungsgebiete für Windenergieanlagen in Graublau und die Änderungsvorschläge in Rot und mit den aktuellen Windrädern in Vorpommern.
Die beschlossenen Eignungsgebiete für Windenergieanlagen in Graublau und die Änderungsvorschläge in Rot und mit den aktuellen Windrädern in Vorpommern. (Foto: Nordkurier-Grafik/D. Focke)

Will die CDU „Vorpommern auseinanderreißen”?

Am lautesten tut das Anklams Bürgermeister Michael Galander. „Wenn die CDU jetzt, 30 Jahre nach der Wende, ein gemeinsames starkes Vorpommern auseinanderreißen will, dann habe ich dafür nur Unverständnis. Das finde ich fatal.“ Er bekommt deutlich mehr Zustimmung aus dem Plenum, was sich auch in abschließenden Abstimmungen widerspiegelt: 26 Mitglieder sind für die Verabschiedung der vierten Öffentlichkeitsbeteiligung, einer enthält sich und 13 weitere Mitglieder, darunter Sack und CDU-Politiker aus Vorpommern-Greifswald sind dagegen.

Bei der Frage, ob es eine fünfte Beteiligung geben soll, enthalten sie sich der Wahl. So wird es vom 4. August bis zum 3. September noch einmal die Möglichkeit geben, ein Votum zu den 19 Eignungsgebieten, die verändert oder gestrichen wurden, abzugeben. Zeit, die die CDU Vorpommern-Greifswald und der Landrat nutzen werden, den Beschluss des Kreistages voranzubringen.

Aktuelle Planungsgebiete des Regionalen Planungsverbands Vorpommern

Eignungsgebiet
Nr.
in Vorpommern-Rügen (V-R) – Geplante Fläche in Hektar (ha)
(5. Beteiligung)
Veränderung zur aktuell beschlossenen 4. Beteiligung (kursiv)

01/2015–Gingst – wegfallend -79 ha
02/2015–Hugoldsdorf–960 ha
03/2015–Franzburg–350 ha 
04/2015–Papenhagen– 221 ha
08/2015–Rakow–119 ha
N1/2017–Wittenhagen 81+ 81 ha (Wiederaufnahme)
N2/2017–Tribsees – 45 ha
N2/2019–Richtenberg/Zandershagen –50 +50 ha (Wiederaufnahme)
10/2015–Süderholz-Poggendorf – 66 ha

Vorpommern-Rügen gesamt (alt):
13,8 % (15,18%) 713 ha+ 52ha Eignungsgebiet

Nr. 
in Vorpommern-Greifswald – Größe in ha
(5. Beteiligung) Veränderung zur4. Beteiligung (kursiv)

11/2015–Dersekow–121 ha 
12/2015–Düvier –101 ha
13/2015–Dargelin wegfallend- 120 ha
14/2015–Behrenhoff 156 ha+  58 ha
15/2015–Dambeck-Züssow– 216 ha   + 12 ha
16/2015–Karlsburg– 77 ha  
N5/2017–Rubkow–48 ha   
17/2015 –Lüssow–56ha   
18/2015–Bentzin-Jarmen–63 ha
19/2015–Kruckow–127 ha   
20/2015–Kruckow-Alt Tellin– 94 ha
21/2015–Völschow–165 ha
22/2015–Neetzow-Liepen–150ha
24/2015–Blesewitz1–59ha+13 ha
25/2015–Iven West–415 ha  
26/2015–Spantekow–191 ha
N3/2017–Wussentin–69ha+ 6 ha
29/2015–Boldekow/Borntin–35 ha
30/2015–Boldekowwegfallend- 117 ha
31/2015–Neu Kosenow–111 ha
N4/2017–Neuenkirchen–35 ha   - 4 ha
32/2015–Ducherow-Altwigshagen–51 ha
33/2015– Neuendorf A–39 ha
34/2015–Lübs/Friedländer Große Wiese–251ha- 15 ha
36/2015–Torgelow–49 ha
37/2015–Jatznick–72ha + 4 ha
38/2015–Groß Luckow/Klein Luckow –35ha
40/2015–Groß Luckow–147ha
42/2015–Rollwitz–157ha -5 ha
43/2015–Fahrenwalde–187ha -16 ha
44/2015–Bergholz/Rossow–105ha + 4 ha
45/2015–Löcknitz-Ramin–196ha + 58 ha
46/2015–Ramin–42ha
47/2015–Grambow-Krackow–110 ha
48/2015–Glasow-Krackow–136ha
49/2015–Grambow–88  ha
50/2015–Battinstal–61ha  +61 ha (Wiederaufnahme)
51/2015–Krackow-Nadrensee – 48ha
52/2015 –Nadrensee–46ha
53/2015 – Penkun/Grünz–56 ha
54/2015–Penkun–145 -24 ha
N6/2017–Wolgast–50 +50 ha (Wiederaufnahme)

Vorpommern-Greifswald gesamt
86,2% (4460 ha) -174 ha 
———
Gesamt (V-R + V-G)  
100,0% (5173 ha)  -122 ha

Quelle: Regionaler Planungsverband Vorpommern – www.rpv-vorpommern.de
(Stand: 19.06.2020)

Mehr Flächen sollen in Vorpommern für Windräder zur Verfügung stehen, wie hier an der A 20. Ein Groß
Mehr Flächen sollen in Vorpommern für Windräder zur Verfügung stehen, wie hier an der A 20. Ein Groß (Foto: Bernd Wüstneck)

Kommentar
Philipp Schulz meint:

Die Fahne im Wind

Mit einer Aussage hat Landrat Michael Sack recht. Die Windräder werden größer, die Kritiker lauter und die Zustimmung schrumpft. Während der erste Punkt dem technischen Fortschritt geschuldet ist, betreffen die Punkte zwei und drei vor allem eine Gruppe: Wähler. Die will man wohl bei den Christdemokraten mit Blick auf die Landtagswahl 2021 mindestens mit einem „wir haben es ja versucht“ beglücken können. Das wirkt nicht meinungsstark, sondern wendehalsig.

Gerade die Partei, die ihre Gegner im Kreistag gerne erinnert, welche Entscheidungen auf welcher Ebene getroffen werden, holt bei einem so komplexen Thema wie den Windkrafteignungsgebieten die Brechstange raus. Der Landrat wird jedoch feststellen, dass die nötige Gesetzesänderung auf Landesebene nicht so leicht zu bekommen sein wird. Das ist Symbolpolitik und wird am Ende zum Scheitern verurteilt sein.

Statt also zum beleidigten Rückzug aus dem Planungsverband zu blasen, sollte sich die Christdemokraten im Kreis besinnen und versuchen politischen Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen und Eignungsgebiete zu verkleinern oder die folgenden Baugenehmigungen zu erschweren. Das ginge zum Beispiel mit Lobbyarbeit an den entsprechenden Adressen.