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Pflegen eine besondere Beziehung:

Karl Schlösser und sein oller Karl Marx

Demmin / Lesedauer: 5 min

Karl Schlösser, der Demminer Autor, Regisseur, Maler und Bildhauer, wird bald 80 Jahre alt. Eine große Personalausstellung ist geplant, im Lübecker Speicher. Wie geht es dem streitbaren Künstler und Spötter eigentlich?
Veröffentlicht:23.07.2014, 16:56

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Die Demminer Stadtrandsiedlung ist nicht unbedingt der Ort, an dem man ein Denkmal von Karl Marx vermuten würde. Schnieke Vorgärten, die Rasenrabatten akkurat gemäht, Blumenkübel, heile Welt.

Das Wohnviertel von Karl Schlösser stellt man sich ganz anders vor. Irgendwie rebellischer. Der Mann schreibt mit spitzer Feder wider die Rathausbürokratie, hat als Regisseur Tschechow aufgeführt und als Maler Demminerinnen, die man im Mittelalter als Hexen verbrannte, in schreiende Porträts gesetzt. Und dann lebt er in einer Siedlung, die aussieht wie aus der Modelleisenbahn gesägt. „Die Straße weiter durch, sehen Sie schon, da wo Karl Marx vorm Haus steht“, sagt ein Mann auf die Frage, wo hier bitte Karl und Lilo Schlösser wohnen.

Er ist nicht ganz auf dem Laufenden, Marx ist längst weg. „Der wurde mir so oft vom Sockel gestoßen, dass ich ihn irgendwann weggenommen hab“, sagt der Hausherr. Da sitzen wir schon auf der Terrasse hinterm Haus, mit Blick auf den Wintergarten, der im Sommer als Galerie dient, voller Bilder steht er.

Was macht die Kunst, Herr Schlösser? Bald wird er 80, im Herbst. Dann soll es eine große Personalausstellung geben im Lübecker Speicher, Retrospektive des Schlösserschen Schaffens, Malerei, Plastiken, vielleicht eine Lesung.

Lieber freie Kunst
statt exakter Zeit

Auch neue Arbeiten werden zu sehen sein, gerade hat Schlösser Porträts der Impressionistin Ilse von Heyden-Linden gemalt, und einige der großen Franzosen, die ihn durchs Leben begleiteten, wie er sagt. Diderot, Balzac.
Der alte Uhrmachermeister, den stets eher die freie Kunst als die exakte Zeit interessierte, scheint „von dem ganzen Rummel“ um seinen runden Geburtstag wenig berührt. „Von mir aus hätte ich gar nichts gemacht“, sagt er. Gewiss, er freue sich, dass der Speicherverein sich so einsetzt für die Ausstellung, und auch das Museum, in dessen Archiv er zahllose Stunden verbrachte, recherchierend, lesend, sammelnd.
Aber vielleicht hätte er sich doch einen anderen Rahmen gewünscht als den Anbau des Lübecker Speichers, das klingt an, als seine Frau ein paar Minuten im Haus verschwindet. „Da wird man nun 80 und stellt in einem Schuppen aus“, sagt er schmunzelnd. „Aber das muss Lilo ja nicht gerade hören.“

„Die Kunst geht wirklich betteln in Demmin“

Sie ist Mitglied im Speicherverein.
Dabei zielt Schlössers Spitze in andere Richtung. Was er meint: Kunst im öffentlichen Raum findet in Demmin so gut wie nicht mehr statt. „Die Stadt feiert einmal im Jahr groß ihre Kunstnacht, aber es gibt keinen einzigen geeigneten Raum für größere Ausstellungen mehr“, sagt er. „Ohne den Speicher wären wir arm dran. Die Kunst geht wirklich betteln in Demmin.“
An den Stadtoberen wird auch diese Kritik abperlen. Ihnen und ihrem Gefolge ist Karl Schlösser seit jeher ein Dorn im Auge, vor allem der Spitzen in seinen realsatirischen Chronik-Bänden „Fußnoten Demminer Geschichte“ wegen. Um Unterstützung für die Jubiläumsausstellung im Speicher angefragt, hüllte das Rathaus sich lange in Schweigen. Dann gab es doch noch Bescheid: Hundert Euro Zuschuss gibt‘s aus der Stadtkasse. Hundert Euro. Woanders ginge das als Beleidigung durch.

Die Skulpturensammlung hat sich herumgesprochen

Ihre Anerkennung bekommen Lilo und Karl Schlösser von anderen. Zur Pfingstaktion „Kunst: offen“, die beiden Demminer nehmen daran von Anfang an teil, gaben sich auch in diesem Jahr wieder Besucher die Klinke in die Hand, zum Teil von weither anreisend, aus Rostock, aus Teterow. Viele wollten Schlössers Garten sehen, die Skulpturensammlung hat sich herumgesprochen. Darf man? „Na, gern doch“, sagt der alte Maler und steht mit einem Ruck auf, wohl froh, dass es mit dem Gerede endlich ein Ende hat.
Der Garten ist ein Kunstwerk für sich. Jeder Schritt öffnet Sichtachsen auf Plastiken, Skulpturen, manche schon verwittert, mit altem Obstgehölz verwachsend. Der hagere Kopf eines Alten, anmutige Frauengestalten, seltsam verdreht im Tanz. Auf einem Baumstumpf steht „Der Eingepfahlte“, ein Kopf in eine Art Käfig gesperrt. „Um die Skulptur zu zeigen, musste ich den Titel ändern“, erzählt Schlösser. Eingepfahlt, das ging gar nicht im sozialistischen Realismus. „Widerstand“ hieß das Werk dann. An einer Wand ein Medaillon von Angela Davis, noch mehr Widerstand, längst Geschichte. Schlösser nahm sie nach der Wende zurück, gab ihr Asyl, als diese Art Kunst plötzlich nicht mehr Kunst war. Man fühlt sich an „Orvydas Garten“ in Litauen erinnert.

Der Steinmetz Kazys Orvydas hatte zu sowjetischen Zeiten Werke geborgen und in seinem Garten versteckt, um sie vor Zerstörung zu retten. Ein skurriles Freilichtmuseum wuchs daraus.
Schlössers Garten ist nicht skuril. Er ist Garten geblieben. Zwischen all der Kunst: Erdbeeren, üppige Stauden, Obstbäume. „Oft kommen Leute, die Frauen gucken sich die Kunst an, die Männer die Kartoffeln“, sagt Schlösser schmunzelnd. Die Kartoffeln stehen wie gemalt.

„Nicht alles ist
käuflich“

Und dann: Karl Marx. Unter einer alten Fichte thront sie auf dem Sockel, die Büste des Arbeiterphilosophen, halb im Schatten, als bräuchte es so ein Versteck. Die vielen Umstürze vorm Haus hinterließen Spuren, aber Schlösser hat seinen tönernen Kopf immer wieder hinbekommen. „Neulich wollte ihn einer kaufen, einfach so vom Fleck weg“, sagt er. „Aber ich hab ihm einen Preis genannt, da hat er nicht weiter gefragt.“
Nicht alles ist käuflich, will der alte Künstler wohl damit sagen. Aber ach, wenn den ollen Marx wirklich einer haben wollte, würde er ihn vermutlich auch kriegen. Eine Frage des Kapitals ist das bei Karl Schlösser eher nicht.